Pflichtdienst für Senioren: Eine Forderung, die an der Lebensleistung vieler Menschen vorbeigeht

fröhlicher Seniorenbürger ist bereit, in der Werkstatt zu arbeiten.

(Bild: Shakirov Albert / Shutterstock.com)

Soziologe fordert Pflichtdienst für Rentner – doch das würdigt nicht deren lebenslangen Beitrag durch Steuern, Erziehung und Ehrenamt.

Es muss schlecht stehen um Deutschland: Ein Symptom dafür sind die Rufe nach einem gesellschaftlichen Pflichtdienst für die Bürger, die in den vergangenen Jahren immer öfter erschallten.

Vor einigen Jahren hatte Richard David Precht die Idee eines zweijährigen Pflichtdienstes vorgetragen. In seinem Buch "Von der Pflicht" geißelte er den überbordenden Individualismus, der eine Kluft zwischen der Gemeinschaft und dem Einzelnen geschaffen hat. Der Pflichtdienst soll dazu beitragen, den Bürgersinn und den Sinn für die Gemeinschaft wieder zu stärken.

Kürzlich hat der Soziologe Klaus Hurrelmann in dieselbe Kerbe geschlagen und einen Pflichtdienst für Senioren vorgeschlagen, mit dem der Zusammenhalt zwischen den Generationen gestärkt werden solle.

Die Jugend zahle nicht nur die Renten für die Älteren, sondern müsste im Ernstfall auch das Land verteidigen, während die Alten ihren Ruhestand genießen. Die Jungen müssten die enormen Schulden abtragen, die in den vergangenen Jahren aufgetürmt wurden, so Hurrelmann im Interview mit dem Spiegel. Jetzt sind die Senioren an der Reihe, etwas zurückzugeben und die Jugend nicht mit den Lasten alleinzulassen, so die Quintessenz von Hurrelmanns Argumentation.

Sowohl Precht als auch Hurrelmann liegen falsch und würdigen die Lebensleistung von Millionen Menschen herab. Zu unterstellen, die Menschen wären nur egoistische Wesen, nur Konsumenten, die viel Leistung für möglichst wenig Gegenleistung erwarten, ist ein Schlag ins Gesicht von allen, die sich ehrenamtlich engagieren.

Nach Angaben der Bundesregierung engagieren sich rund 28,8 Millionen Menschen im Land ehrenamtlich. Ohne sie könnten viele Vereine nicht existieren, freiwillige Feuerwehren gäbe es nicht, das kulturelle Leben würde wohl weitgehend absterben. Soll dieses Engagement kein Dienst an der Gesellschaft sein?

Selbst die Eltern, die am Wochenende bei Wind und Wetter Kindertaxi spielen, damit ihre Schützlinge zum Fußballspiel kommen, tun das nicht aus Privatvergnügen, sondern für ihre Kinder, für den Verein und letztlich auch für die Gesellschaft.

Man muss aber gar nicht zu sehr ins Detail gehen, um zu zeigen, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland, mehr oder weniger bewusst einen Dienst an der Gesellschaft leisten. Und diese werden oftmals gar nicht als Dienst an der Gesellschaft wahrgenommen: Die Rede ist von der Kindererziehung und vom Zahlen der Steuern.

Daran zeigt sich: Der vermeintliche Generationenkonflikt ist weit weniger ausgeprägt, als es auf den ersten Blick scheint. Denn sowohl die Jüngeren als auch die Älteren leisten auf ihre Weise bereits enorme Beiträge für die Gesellschaft – auch wenn diese oft übersehen werden.

Kindererziehung: Der unterschätzte Dienst an der Gemeinschaft

Wenn Eltern etwa ihre Kinder großziehen, tun sie weit mehr, als nur für ihren privaten Nachwuchs zu sorgen. Sie schaffen die Grundlage für die Zukunft der gesamten Gesellschaft. Denn ohne Kinder gibt es keine künftige Gesellschaft und auch die Sozialsysteme hätten ohne Kinder nur noch eine begrenzte Laufzeit.

Jedes Kind, das zu einem verantwortungsvollen, produktiven Erwachsenen heranwächst, ist ein Gewinn für die Gemeinschaft. Es wird später Steuern zahlen, sich sozial engagieren, möglicherweise selbst Kinder bekommen und so den Fortbestand der Gesellschaft sichern. Von gut erzogenen, gebildeten Bürgern profitieren alle – auch diejenigen, die selbst keine Kinder haben.

Doch Kindererziehung ist alles andere als ein Selbstläufer. Sie erfordert enorme Investitionen an Zeit, Energie und Geld. Schätzungen zufolge kosten Kinder ihre Eltern bis zum Ende der Ausbildung zwischen 150.000 und 250.000 Euro – für Nahrung, Kleidung, Bildung und vieles mehr.

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Dazu kommen die indirekten Kosten. Viele Eltern, hauptsächlich Mütter, reduzieren für die Kindererziehung ihre Arbeitszeit oder geben den Job ganz auf. Sie nehmen Einbußen beim Einkommen und bei der Rente in Kauf.

Unbezahlte Arbeit wie Windeln wechseln, Hausaufgaben betreuen oder Trösten nach einem Albtraum summieren sich über die Jahre auf einen Wert von mehreren hunderttausend Euro, multipliziert man die Stunden unbezahlter Care-Arbeit mit dem Mindestlohn.

All das tun Eltern nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gesellschaft. Sie nehmen hohe persönliche Belastungen auf sich, um der Gemeinschaft etwas zu geben, das unbezahlbar ist: die nächste Generation. Das ist ein Dienst, der oft zu wenig gewürdigt wird.

Steuerzahler: Die stillen Helden des Gemeinwohls

Doch Eltern sind nicht die Einzigen, die im Stillen Großes für die Gesellschaft leisten. Auch die Steuerzahler gehören dazu. Sie finanzieren mit ihren Abgaben all das, was unsere Gesellschaft zusammenhält: Schulen und Universitäten, Straßen und Brücken, Polizei und Feuerwehr, Renten und vieles mehr.

Sie ermöglichen es, dass Wissenschaftler wie Klaus Hurrelmann überhaupt ein Einkommen haben; dass sich das Land einen aufgeblähten Beamten-Apparat leisten kann; dass Millionen Flüchtlinge versorgt werden können; und dass Politiker regelmäßig ihre ohnehin üppigen Gehälter erhöhen oder dass Gender-Lehrstühle eingerichtet werden können.

Knapp ein Drittel des Bruttoeinkommens wird in Form von Lohnsteuer und Abgaben für Rente, Kranken- und Pflegekasse abgezogen. Über ein Arbeitsleben von 40 Jahren hinweg können hier mehrere Hunderttausend Euro zusammenkommen, mit denen Straßen, Autobahnen, Universitäten, Krankenhäuser und Verwaltungen unterhalten und neu errichtet wurden.

Wer heute in den Ruhestand geht, hat sein Leben lang die Renten und Krankenversorgung der noch älteren Generation finanziert. Auch das ist eine Form des gesellschaftlichen Dienstes, die selten die Anerkennung erfährt, die sie verdient.

Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland zahlt während seines Berufslebens mehr als 600.000 Euro an Steuern und Sozialabgaben – Geld, das nicht ihm selbst, sondern der Allgemeinheit zugutekommt.

All dies zeigt: Die Generationen stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern in einem komplexen Geflecht gegenseitiger Unterstützung. Junge wie Alte tragen auf ihre Weise zum Gemeinwohl bei – ob durch Kindererziehung, Steuerzahlungen oder soziales Engagement.

Statt einen zusätzlichen Pflichtdienst für Senioren zu fordern, sollten wir daher lieber die Leistungen würdigen, die alle Generationen bereits erbringen. Wir sollten Wege finden, die bestehenden Lasten gerechter zu verteilen und die Anerkennung für gesellschaftlich wertvolle Arbeit zu erhöhen – egal ob bezahlt oder unbezahlt, ob von Jung oder Alt geleistet.

Das Ziel sollte nicht sein, die Generationen gegeneinander auszuspielen, sondern sie in einen echten Dialog zu bringen. Denn nur wenn Alt und Jung einander verstehen und wertschätzen, kann der gesellschaftliche Zusammenhalt wirklich gelingen. Ein Pflichtdienst für Senioren wäre dafür der falsche Weg. Der richtige Weg ist eine Gesellschaft, die die Beiträge aller Generationen sieht und würdigt.