Iran schiebt ab – und spiegelt Europas Abgründe

KI-generierte Grafik:Eine Gruppe afghanischer Geflüchteter wird von einem iranischen Grenzbeamten an ein Stacheldrahttor gedrängt – eine Szene voller Zwang und Ausgrenzung.

KI-generierte Grafik.

Der Iran hat über 800.000 Afghanen abgeschoben. Die Regierung nutzt sie als Sündenböcke für militärische Schwächen. Die Methoden erinnern fatal an Europa. Analyse.

Zumindest gibt es ein Lebenszeichen von ihm: Am Donnerstag dieser Woche räumte das iranische Regime offiziell ein, den jungen Deutsch-Franzosen Lennart Monterlos gefangen zu halten

Er war seit dem 16. Juni dieses Jahres spurlos verschwunden, während es zu einem militärischen Schlagabtausch zwischen Israel, später auch den USA und dem Iran kam.

Am vergangenen Donnerstag ließ das Außenministerium in Teheran jedoch wissen, er sei "aufgrund eines Delikts" festgenommen worden, ohne zunächst nähere Angaben zu dessen Natur zu machen.

Im Laufe des Wochenendes schien sich jedoch die Befürchtung zu erhärten, die iranischen Autoritäten erheben den Vorwurf der "Spionage" gegen ihn.

Nach dem israelischen Angriff: Häufung der "Spionage"-Vorwürfe

Bereits seit drei Jahren sitzen im Iran zwei andere französische Staatsangehörige ein: die 40-jährige französische Lehrerin Cécile Kohler und ihr 72-jähriger Lebensgefährte Jacques Paris. Sie wurden im Mai 2022 mutmaßlich aufgrund von Kontakten zu einer verbotenen, aber aktiven iranischen Lehrergewerkschaft inhaftiert.

Vorwürfe der "Spionage" werden im Iran seit Jahren regelmäßig gegen Ausländer erhoben, beispielsweise wenn sie sich aus Sicht der Behörden als zu neugierig erwiesen hatten (auch der Autor dieser Zeilen befand sich vor einer Reihe von Jahren einmal in dieser Situation).

Seit dem israelischen Angriffskrieg und dem militärischen Schlagabtausch, den Donald Trump später den "Zwölf-Tage-Krieg" nannte, haben sich solche Anklagen auch gegen iranische Staatsangehörige gehäuft.

Bis zum 26. Juni waren in diesem Zusammenhang bereits 700 Verhaftungen und fünf Hinrichtungen zu verzeichnen. Seither sind eher 1.300 Verhaftungen erreicht worden.

Zivilisten als Risiko: Wenn Schutz zur Bedrohung für das Regime wird

Unter anderem, weil das Regime Sündenböcke präsentieren muss, um von der Tatsache abzulenken, dass sich seine militärische und nukleare Infrastruktur als viel verwundbarer als erwartet erwiesen hat. In einem notorisch repressiven Folterregime wie dem im Iran müssen die Vorwürfe nicht stimmen, um zu Strafen zu führen.

Eines der Probleme – bestimmt nicht das einzige – ist, dass die Führung in Teheran selbst während der militärischen Angriffe auf das Land keinerlei Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten, etwa vor Bombardierungen, unternahm.

Zunächst war angekündigt worden, dass Zivilpersonen in Teheran vor den Bomben- und Raketeneinschlägen in unterirdischen U-Bahn-Stationen Zuflucht nehmen könnten, wie dies seit drei Jahren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, die von Russland belagert wird, geschieht.

Doch dann wurden die Stationen einfach geschlossen. Die Regierung fürchtete jegliche Zusammenballung von Einwohnerinnen und Einwohnern, die schnell in feindliche Kundgebungen hätten umschlagen können.

Als einzige "Schutz"maßnahme fiel der autoritären Führung bislang eine Offensive zur Massenabschiebung afghanischer Flüchtlinge und Einwanderer ein. Diese stellten bereits seit Jahren die Underdogs in der iranischen Gesellschaft dar.

Afghanen als Spielball der Regimepolitik

Bereits in den Achtzigerjahren lebten infolge des Einmarschs der Sowjetunion in Afghanistan an Weihnachten 1979 und des darauffolgenden achtjährigen Krieges drei bis vier Millionen Afghanen und Afghaninnen als Geflüchtete im Iran.

Spätere dramatische Ereignisse wie der Bürgerkrieg von 1992 oder die beiden Machtübernahmen der Taliban – im Oktober 1996 und erneut im August 2021 – führten jeweils zu neuen Zuströmen.

Allerdings leiteten seit mehreren Monaten die Staatsführungen im Iran und im Nachbarland Pakistan jeweils größere Rückführungsoffensiven in Richtung Afghanistan ein. Pakistan schickte seit Herbst 2023 insgesamt bereits 550.000 Menschen in das bitterarme und unter Sanktionen stehende Nachbarland unter dem neuen Taliban-Regime zurück.

Im Iran hat sich die Vertreibungskampagne seit dem jüngsten Krieg mit Israel zugespitzt. Allein im Juni und Anfang Juli dieses Jahres wurden laut den Vereinten Nationen 450.000 Menschen entweder nach Afghanistan abgeschoben oder gingen unter dem wachsenden Druck der Behörden selbst dorthin zurück.

Die New York Times berichtet inzwischen von 800.000, davon 600.000 Abgeschobenen.

Zwei Klassen von Opfern

In den westlichen Medien macht man sich um diese "Ausländer" insgesamt weit weniger Sorgen als um die im Iran inhaftierten westlichen Staatsangehörigen, wie die drei Franzosen, denen selbstverständlich zu Recht Anteilnahme zuteil wird, obwohl inzwischen ausführliche Artikel zu den massiven Rückführungen in Le Monde und New York Times erschienen sind.

Dabei forderten und fordern die Festnahmen durch iranische Sicherheitsorgane, die Haftbedingungen und die Rückkehr nach Afghanistan zweifellos Todesopfer.

Wo Opposition und Regierung sich treffen

Der Clou dabei ist: Zum einen sieht das iranische Regime in dieser Hinsicht vielen europäischen Regierungen oder der US-Administration Donald Trumps gar nicht so unähnlich, trotz aller Unterschiede zu anderen autoritären oder erst recht zu demokratisch gewählten Regierungen.

Ähnlichkeiten gibt es auch zum Verhalten der türkischen Regierung und der politischen Parteien gegenüber syrischen Flüchtlingen, als die Assad-Diktatur noch an der Macht war. Im Wahlkampf 2024 versuchte sich die republikanische Oppositionspartei CHP gegenüber dem islamistisch gefärbten Autokraten Erdogan zu profilieren, indem sie versprach, die Syrer loszuwerden, sollte sie an die Regierung kommen. Währenddessen erhöhte die Erdogan-Regierung den Druck auf die Geflüchteten.

Auch im Iran überwindet die Kampagne gegen die afghanischen "Underdogs", die nun neben ihrer hohen Geburtenrate und ihrem zivilisatorischen Rückstand gegenüber den Persern auch noch der Spionage für Israel verdächtigt werden, die scharfen Grenzen zwischen Regierung und Oppositionslagern.

Ein Anruf des Autors dieser Zeilen bei einer iranischen Familie am 17. Juni, dem vierten Tag der Bombardierungen, ergab als eine der Hauptantworten zur Situation, dass man die Erklärung für den Krieg gefunden habe. Die zahlreichen Afghanen im Land hätten vor dessen Ausbruch für Israel spioniert.

Die Person bezeichnet sich selbst als "nur offizielle Muslimin" und in Wirklichkeit "Nicht-Muslimin", was sicherlich nicht auf Regierungslinie liegt. Im Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran droht auf Abfall vom Glauben die Todesstrafe.

Wenn Migranten zu Sündenböcken gemacht werden

Zahlreiche Twitter- und Telegram-Kanäle befeuern derzeit eine Kampagne gegen die Afghanen. Einige dürften dem Regierungslager zuzurechnen sein, andere nicht.

Wurde nach dem Sturz von Muammar Gaddafi in Libyen im Jahr 2011 nicht auch von den ehemaligen Rebellen, die nun an der Macht sind, "Rache" an Arbeitsmigranten und Flüchtlingen aus schwarzafrikanischen Ländern in Form von Pogromen vollzogen, weil Gaddafi diese ins Land habe kommen lassen?

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Auch innerhalb der iranischen Regierung setzten sich die sogenannten Reformer, die auf etwas bessere Beziehungen zu den USA hoffen, und deren Repräsentant Masoud Pezekschikian im vergangenen Jahr zum – allerdings weitgehend machtlosen – Staatspräsidenten gewählt wurde, im damaligen Wahlkampf für eine "bessere Regulierung der Migrationsströme", vor allem aus Afghanistan, ein. Sie versuchten, sich damit zu profilieren. Wie ähnlich einem die Situation doch vorkommt!