Was sanktioniert die EU in Russland?

Die EU-Länder streiten über das sechste Sanktionspaket und geraten zunehmend in Widerspruch zueinander. Die vorhergehenden Sanktionspakete machten dagegen weniger Probleme. Eine Übersicht.
Die Länder der Europäischen Union diskutieren über das sechste Sanktionspaket, das sie gegen Russland in Kraft setzen wollen. Und sie stellen fest, dass sie allmählich an ihre Grenzen kommen – zunehmend gehen die Interessen auseinander.
Besonders strittig in dem Sanktionspaket ist das geplante Embargo auf russisches Öl. Lange hatte Deutschland gezögert – nun macht die Bundesrepublik selbst Druck. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten die Einfuhr von russischem Erdöl und der Bezug von Diesel und Kerosin untersagt werden soll.
Ausnahmen sollte es für Ungarn, Tschechien und die Slowakei geben, denen man bis Ende 2023 Zeit einräumen wollte. Doch auch diese Frist ist noch nicht gesetzt: Die drei Länder fordern mehr Zeit. Die deutsche Bundesregierung hat zwar schon ihre Zustimmung für längere Übergangsfristen signalisiert, doch ob es eine schnelle Übereinkunft gibt, ist bislang fraglich.
Am Freitag lag ein weiterer Kompromissvorschlag auf dem Tisch. Ungarn und der Slowakei sollte demnach bis Ende 2024 Zeit gegeben werden, ihre Öl-Einkäufe aus Russland einzustellen. Das hatte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) nach eigenen Angaben von Diplomaten erfahren. Tschechien könnte demnach bis Juni 2024 Zeit bekommen. Sollte es allerdings gelingen, das Land schon früher an die Transalpine Ölleitung anzuschließen, solle das Embargo entsprechend früher für Prag gelten.
Ungarn: Ölembargo ist wirtschaftliche Atombombe
Aber auch dieses Angebot überzeugt nicht alle Länder. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sagte dem staatlichen Rundfunk, es komme "einer Atombombe gleich, die auf die ungarische Wirtschaft abgeworfen" werde. Um die Anlagen auf andere als russische Ölsorten umzustellen, "brauchen wir nach unseren eigenen Berechnungen fünf Jahre". Deshalb bringe ein Aufschub von einem oder anderthalb Jahren nichts.
Als problematisch bewertete Orbán auch den Passus des sechsten Sanktionspaketes, nach dem das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, auch auf die Sanktionsliste gesetzt werden soll. Diese Frage betreffe die Religionsfreiheit der der religiösen Gemeinschaften in Ungarn, so Orbán, und die sei unantastbar.
Orbán betonte ein weiteres Mal, dass sich Ungarn aus dem Krieg heraushalten wolle. "Ich bin nicht bereit, die Interessen der Amerikaner oder der Deutschen oder irgendeines europäischen Landes als ungarische Interessen zu deklarieren, wenn sie den Interessen Ungarn zuwiderlaufen", so Orbán.
Neben dem Ölembargo und den persönlichen Sanktionen gegen den Patriarchen der russisch- orthodoxen Kirche sieht das sechste Sanktionspaket auch Strafmaßnahmen gegen die größte russische Bank, die Sberbank, vor. Auch sie soll vom Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden; Geschäfte mit ihr sollen aber weiterhin erlaubt bleiben und ihre Vermögenswerte in der EU sollen auch nicht eingefroren werden.
In der Diskussion ist auch das Verbot für Reedereien aus EU-Ländern, russisches Erdöl zu transportieren. Doch auch gegen diesen Vorschlag regt sich Widerstand in Ländern wie Zypern, Griechenland und Malta. Sie befürchteten, dass ihre Reedereien durch ein Transportverbot einseitig benachteiligt werden.
Ukraine macht Druck
Die Regierung der Ukraine versucht indessen, sich in die innereuropäische Diskussion einzumischen und Druck aufzubauen. "Wenn irgendein Land in Europa sich weiterhin gegen ein Einfuhrverbot für russisches Öl stellt, kann man mit Fug und Recht sagen, dass dieses Land mitschuldig ist an den Verbrechen, die Russland auf ukrainischem Territorium verübt", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Mittwoch.
Sollte ein EU-Land das Embargo blockieren, "bedeutet dies eines: Dass sie auf der russischen Seite stehen und die Verantwortung für alles mittragen, was Russland in der Ukraine tut", so Kuleba weiter.
Dabei ist gar nicht ausgemacht, dass das Ölembargo überhaupt das geplante Ziel erreicht: den russischen Staatshaushalt empfindlich stören. Das betonte auch kürzlich die polnische Zeitung Rzeczpospolita.
Sie wies darauf hin, dass die Öllieferungen leicht in andere Regionen umzulenken seien. Und die Frage sei, inwieweit die EU andere Länder zwingen könne, die Maßnahmen mitzutragen, um dem Embargo mehr Kraft zu verleihen.
Übersicht der bisherigen Sanktionspakete
Bei den fünf vorherigen Sanktionspaketen gab es weniger Widersprüche zwischen den einzelnen EU- Länder. Deshalb wurden sie auch relativ schnell beschlossen. Doch mit jedem Sanktionspaket nahmen die wirtschaftlichen Sanktionen zu – und es war eine Frage der Zeit, bis sie auch empfindliche Wirkungen auf ihre Urheber haben mussten.
Das erste Sanktionspaket gegen Russland wurde am 23. Februar verabschiedet, also noch vor den bewaffneten Feindseligkeiten in der Ukraine. Es waren allerdings nicht die ersten Sanktionen: Seit der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation im Jahr 2014 wurden immer wieder Sanktionen gegen Personen und Organisationen verabschiedet.
So wurden zum Beispiel am 21. Februar 2022 fünf Personen sanktioniert, weil im September 2021 auf der Krim Wahlen zur russischen Staatsduma abgehalten wurden. Die Europäische Union wertete die Wahlen als "Bedrohung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine".
Von den Sanktionen betroffen waren drei Abgeordnete, die durch diese Wahlen in die russische Staatsduma einzogen. Auch die Leiterin der Wahlkommission von Sewastopol und ihr Stellvertreter wurden sanktioniert. Mit diesen fünf Personen waren es dann 193 Personen und 48 Organisationen, deren Vermögen in der EU eingefroren wurden und die nicht in die EU einreisen oder durch die EU reisen durften.
Erstes Sanktionspaket
Das sogenannte erste Sanktionspaket wurde am 23. Februar verabschiedet. Mit ihm wurde der sanktionierte Personenkreis auf die 351 Mitglieder der russischen Staatsduma erweitert, die für die Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk gestimmt hatten.
Außerdem wurden 27 hochrangige Personen sanktioniert, darunter Mitglieder der russischen Regierung, Vertreter von Banken, Oligarchen und hochrangige Offiziere, "die bei den Invasions- und Destabilisierungshandlungen eine Rolle gespielt haben". Aber auch Journalisten, denen man vorwarf, für den "Desinformationskrieg" gegen die Ukraine verantwortlich zu sein.
Erste Wirtschaftssanktionen sollten vor allem die "Volksrepubliken" treffen. Daneben wurde der Zugang Russlands zu den internationalen Finanzmärkten eingeschränkt.
Mit dem heutigen Beschluss werden insbesondere ein Einfuhrverbot für Waren aus den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk, Handels- und Investitionsbeschränkungen für bestimmte Wirtschaftssektoren, ein Verbot der Erbringung von Tourismusdienstleistungen und ein Ausfuhrverbot für bestimmte Güter und Technologien eingeführt.
Mitteilung der EU vom 23. Februar 2022
Zweites Sanktionspaket
Nur einen Tag später einigten sich die EU-Spitzen auf weitere Sanktionen, die dann am 25. Februar verkündet wurden. Der Kreis der sanktionierten Personen wurde auf alle Mitglieder der russischen Staatsduma erweitert und auch auf die Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrat Russlands, die für die Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" eintraten.
Die bestehenden finanziellen Beschränkungen sollten ausgeweitet werden, mit dem Ziel, Russland den Zugang zu den wichtigsten Kapitalmärkten abzuscheiden. Darüber hinaus wurden die Aktien staatseigener russischer Unternehmen von den Börsen in der EU genommen. Außerdem sollten mit den neuen Sanktionen die Finanzflüsse zwischen Russland und der EU erheblich eingeschränkt werden.
Diese Sanktionen richten sich gegen 70 % des russischen Bankenmarkts und gegen wichtige staatseigene Unternehmen, auch im Verteidigungsbereich. Sie werden die Kreditkosten Russlands erhöhen, die Inflation ankurbeln und die industrielle Basis Russlands schrittweise aushöhlen. Es werden zusätzliche Maßnahmen getroffen, um zu verhindern, dass das Vermögen der russischen Elite in sicheren Häfen in Europa versteckt wird.
Mitteilung der EU vom 25. Februar 2022
Einige Sanktionen zielten speziell auf die Energie-, Verkehrs- und Technologiesektoren. Zum Beispiel wurde es untersagt, bestimmte Güter und Technologien für die Erdölraffination nach Russland zu liefern. Damit sollte es unmöglich gemacht werden, dass Russland seine Raffinerien auf dem neuesten Stand bringen kann.
Ebenso wurde die Ausfuhr von Gütern und Technologien in der Luft- und Raumfahrtindustrie verboten. Russischen Fluggesellschaften durften keine Flugzeuge, Ersatzteile und Ausrüstung mehr verkauft werden. Auch Halbleiter oder sogenannte Spitzentechnologie dürfen seitdem nicht mehr nach Russland geliefert werden.
Die drei letzten Sanktionspakete
Die erste Stufe des dritten Sanktionspakets wurde am 28. Februar vorgestellt und am 2. März wurden weitere Maßnahmen aus dem Paket verkündet. Im Großen und Ganzen zielte es vor allem darauf, Russlands Bankensektor weitgehend von ihren Verbindungen in den Westen abzuschneiden.
Dazu wurde es verboten, Transaktionen mit der russischen Zentralbank durchzuführen. Und sieben andere Banken wurden vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen: Bank Otkritie, Novikombank, Promsvyazbank, Rossiya Bank, Sovcombank, Vnesheconombank (VEB) und VTB Bank. Es wurde außerdem untersagt, "auf Euro lautende Banknoten an Russland oder an natürliche oder juristische Personen oder Organisationen in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen".
Darüber hinaus wurde der Luftraum der EU- Länder für russische Fluggesellschaften gesperrt. Ihnen wurde auch untersagt, Flughäfen in der EU anzusteuern.
Außerdem billigte die EU, dass den russischen Sendern Sputnik und Russia Today die Sendeerlaubnis entzogen wurde. Beide Sender stünden unter der ständigen direkten oder indirekten Kontrolle der russischen Regierung, so die Begründung der EU. Die Sender würden wesentlich dazu beitragen, "die militärische Aggression gegen die Ukraine zu propagieren und zu unterstützen sowie ihre Nachbarländer zu destabilisieren".
Viertes Sanktionspaket
Nachdem die EU weitere Oligarchen auf die Sanktionsliste gesetzt hatte, veröffentlichte sie am 15. März ihr viertes Sanktionspaket. Mit diesem versuchte die EU, die russische Wirtschaft weiter zu schwächen.
So verbot es alle Transaktionen mit einigen bestimmten staatseigenen Unternehmen in Russland. Außerdem verbot sie Ratingagenturen, ihre Dienste für russische Personen oder Organisationen zu erbringen. Zudem verbot es neue Investitionen in den russischen Energiesektor. Es dürfen seitdem auch keine Ausrüstungen und Technologien mehr für den russischen Energiesektor ausgeführt werden. Darüber hinaus führte die EU Handelsbeschränkungen für Eisen, Stahl und Luxusgüter ein.
Fünftes Sanktionspaket
Am 8. April gab die EU schließlich ihr fünftes Sanktionspaket bekannt. Es verbot unter anderem ab August 2022 die Einfuhr von Kohle aus Russland. Außerdem untersagte es russischen Schiffen, in die Häfen der EU-Länder einzulaufen. Ausnahmen gibt es hier für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel, humanitäre Hilfe und Energie.
Außerdem untersagte die EU nun russischen und weißrussischen Kraftfahrern die Einreise in die EU. Auch hier gibt es Ausnahmen, für eine "Reihe von Erzeugnissen wie pharmazeutische, medizinische und landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel – einschließlich Weizen – und für den Kraftverkehr zu humanitären Zwecken".
Darüber hinaus wurde der Import von Holz, Zement, Düngemittel, Meeresfrüchten und alkoholischen Getränken verboten. Die Unternehmen der EU dürfen seitdem auch keine Flugturbinenkraftstoffe und andere Güter nach Russland exportieren.
Man versuchte auch erneut, russische Banken zu treffen, indem man sämtliche Transaktionen mit vier wichtigen russischen Banken untersagte. Zusammen sollen sie auf einen Marktanteil von 23 Prozent in Russland kommen.