Vom Exportweltmeister zum Importabhängigen: Deutschlands Auto-Dilemma

In Städten wie Shenzhen sind E-Autos mittlerweile Standard
(Bild: gui jun peng/Shutterstock.com)
Deutsche Autobauer verlieren in China dramatisch Marktanteile. Warum die deutschen Automobilkonzerne De-Risking statt De-Coupling fordern. Eine Analyse.
Der chinesische Absatzmarkt ist für die deutschen Autokonzerne von entscheidender Bedeutung. Die Abhängigkeit ist groß. Der stabile Marktanteil deutscher Hersteller von 25 Prozent verringerte sich zuletzt signifikant. Dies ist dramatisch, denn rund 40 Prozent ihres globalen Absatzes wird im Reich der Mitte umgesetzt.
Seit Jahren klemmen die Profite auf den heimischen Märkten. China war als verlässlicher und mittlerweile auch zahlungskräftiger Kunde ein willkommener Abnehmer. Die chinesische Kaufflaute trifft auf die durch die Ukraine-Energie-Krise verursachte Stagnation. Entlassungswellen zeichnen sich ab. Kurzum, die Hausse ist vorüber – ist das deutsche Auto, des Deutschen ganzen Stolz, in der Welt verschmäht?
Made in China
Auf chinesischen Straßen sind Elektroautomobile auf dem Vormarsch: 70,7 Prozent der weltweiten Fahrzeuge mit alternativen Antrieben werden in China produziert. Mit 69,4 Prozent dominieren chinesische Eigenmarken den heimischen Markt. Im August 2024 wurden erstmals mehr Fahrzeuge mit alternativen Antrieben als mit Verbrennungsmotoren in China zugelassen.
Die deutschen Marken befinden sich in der elektrisch fokussierten Volksrepublik derzeit "im freien Fall" – und das, obwohl die EU ab 2035 keine Verbrenner mehr zulassen will. Noch sind deutsche Produkte, die sich weithin auf den Limousinen-Markt im E-Segment fokussieren, nicht konkurrenzfähig. Weder preislich noch qualitativ.
Rund 100 staatlich geförderte chinesische Anbieter kokettieren mit den neuesten technischen Raffinessen. BYD etwa mit einem Auto, das springen kann, bei dem alle vier Reifen vom Boden abheben. Integrierter Kühlschrank, Massagesitze oder Bord-Entertainment der nächsten Generation sind gefragt und werden immer mehr verbaut. Der kommende Trend ist autonomes Fahren – auch hier spielt Beijing ganz vorne.
Störgeräusche aus Berlin
Neben den Umsatzeinbußen und einer scheinbaren Umkehrung der veralteten kolonialen Ströme – stimmen die deutschen Autobauer politischen Äußerungen aus Berlin und Washington missmutig. Sie sind schlecht fürs Geschäft. Der erhobene Zeigefinger kommt nicht gut an. Im Zollstreit ließ Beijing die Muskeln spielen und legte die ökonomischen Sollbruchstellen der USA frei.
Ob Batterien, Halbleiter oder kritische Rohstoffe – aus den Scharaden Trumps entstanden sogar Vorteile für die chinesischen Autobauer. Doch im geopolitischen Minenfeld steht Berlin noch immer in Nibelungentreue zum "Big Brother". Wie die NZZ berichtet, ermahnte der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) sein chinesisches Gegenüber, Wang Yi, beim kürzlichen Besuch in Berlin zu "faireren Wirtschaftsbeziehungen" und mehr Einsatz für die Beendigung des Ukraine-Krieges.
Die Wirtschaft zieht nicht mit
In Zeiten des Wandels sind das gewagte Worte: Laut Business Insider sind die deutschen Automobilhersteller "massiv abhängig" vom Absatzmarkt im Fernen Osten.
Doch nicht nur die. Sei es Huawei im Mobilfunknetz, die Belt and Road Initiative (BRI) bis in den Duisburger Hafen oder die Rohstoffe für Mobiltelefone, Solaranlagen oder Chemieprodukte – Beijing sitzt mit im Geschäftszimmer. 37 Prozent der deutschen Industrieunternehmen sind auf chinesische Vorprodukte angewiesen. 80 Prozent aller in Deutschland verwendeten Laptops kommen aus der Volksrepublik.
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Egal, wie oft die politisch Verantwortlichen gen China getrommelt haben: Teil der Wirtschaft Wirtschaft zogen aus guten Gründen nicht mit. Folgerichtig sprach Bosch-Boss Stefan Hartung vielen aus der Seele. Entflechtung sei "keine Option", vielmehr müsse es um eine Diversifizierung der Lieferketten gehen.
Klartext der Automobilbranche
In diesen Chor stimmt auch Andreas Klugscheid ein. Er ist Chief Strategic Foresight and Engagement Officer beim europäischen Automobilherstellerverband ACEA. In ihm sind alle Größen vertreten, die Unternehmen beschäftigen eigenen Angaben zufolge 14 Millionen Menschen.
Während der europäische Elektroautomobilmarkt laut Klugescheid bei 15 Prozent stagniert, wurde China in den vergangenen 40 Jahren ausschließlich als Absatzmarkt gesehen. Auf einem Treffen mit Politikstudierenden sagte Klugescheid Anfang Juli in Brüssel, dass es eine globalisierte Wirtschaft ohne China "nicht geben könne".
Er fügte hinzu: "Diversifizierung und De-Risking auf jeden Fall, ein komplettes Decoupling keine gute Idee." Lobende Worte fand er für Olaf Scholz. Dieser habe dafür gesorgt, dass "etwas China-Liebe übrig blieb". Man müsse gespannt sein, wie dies "Herr Klingbeil und Herr Merz tun werden".
In der Wertschöpfungskette hat die chinesische Konkurrenz einen massiven Vorteil. Der deutsche Wirtschaftsstandort ist von Gutdünken abhängig – Alternativen stecken bisher in den Kinderschuhen. Wie Klugescheid mehrfach betonte, ist das Milliardenland ein integrer Geschäftspartner: Bezahlt wird pünktlich und vertragssicher. Es schwingt mit: Die deutsche Wirtschaft fordert (noch) Frieden mit China.
Heimvorteil
Die chinesische Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft ermöglicht Skaleneffekte und Effektivität. Auf dem Automobilmarkt treten große Vorteile hinzu: China dominiert die Batterieproduktion, 95 Prozent liegen in chinesischer Hand.
Im Vergleich zur EU kann China Batterien 20 Prozent günstiger in großen Mengen produzieren. Mittlerweile expandieren chinesische Anbieter aber auch gen Europa und erschließen mit Qualität und Preisvorteilen neue Märkte.
Insbesondere will die Kommunistische Partei die "nationalen Champions" im Inland stärken. Spätestens seit der Corona-Pandemie liegt der Fokus auf dem inländischen Konsum und lokalen Konsumanreizen. Dies geschieht nicht nur durch die Anhebung des Lohnniveaus, sondern auch durch staatliche Subventionsprogramme. Von 2009 bis 2023 flossen 230 Milliarden Dollar an staatlichen Geldern in den Aufbau einer E-Mobil-Industrie.
Es gab zudem Käufer-Subventionen, Steuerbefreiungen als Kaufanreiz und staatliche Beschaffungen. Die staatlichen Zuschüsse waren beim Kauf signifikant: Von 14.000 Dollar im Jahr 2018 sanken sie jedoch bis 2023 auf 4.800 Dollar ab.
De-Risking aus Kalkül?
Im Kontrast dazu: die deutschen Gewerkschaften fürchten um den Erhalt der deutschen Leitindustrie. Selbst in positiven Zukunftsszenarien wird sich die deutsche Industrie massiv verändern. So fordert die größte deutsche Industriegewerkschaft IG Metall primär den Erhalt der deutschen Standorte.
Die Gretchenfrage: Wie hält man es mit der angeblichen Bedrohung durch einen autoritären Staatskapitalismus? In den Zukunftsmärkten ist die deutsche Industrie auf absehbare Zeit keine Konkurrenz auf Augenhöhe. Während Washington, insbesondere unter der Trump-Administration, seine geopolitische Ausrichtung auf den Konflikt mit China ausrichtet, zögert das deutsche Industrie- und Finanzkapital mit einer klaren Positionierung.
Sicher, einzelne Konzerne wie VW schließen einzelne gemeinsame Werke in China. Zwar fordern 60 Prozent der deutschen Industrieunternehmen Sanktionen gegen China, doch sehen sie ihr Heil in der Tendenz im schrittweisen De-Risking.
Denn es mangelt an Alternativen: Bis 2030 will die EU das Minimalziel von zehn Prozent kritischer Rohstoffgewinnung in der EU erreicht haben.
Ein fader Beigeschmack bleibt: Die deutsche (Automobil-)Industrie handelt nicht aus dem politischen Impuls einer friedenssichernden Maßnahme, sondern aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Gründen. Entfallen diese, dürfte auch die Zurückhaltung gegenüber Beijing schnell der Vergangenheit angehören.