Vom Boom zum Bust: Russlands Kohleindustrie im freien Fall

Russlands Kohleindustrie steckt tief in der Krise. 51 Unternehmen droht die Schließung. Die Regierung will gegensteuern.
Im vergangenen Jahr verzeichnete die Kohleindustrie in Russland die größten Verluste im Land. Die Lage verschlechtert sich zusehends. Aktuell droht 51 Unternehmen das Aus. Davor warnte der russische stellvertretende Energieminister Dmitri Islamow jüngst in einer Ausschusssitzung des Föderationsrates. Unterstützungsmaßnahmen hatte die Regierung Ende Mai beschlossen.
Schließungen drohen
"Bis Ende 2024 beliefen sich die Verluste auf 112,6 Milliarden Rubel, und die Lage verschlechtert sich leider weiter. Nach Angaben des Energieministeriums befinden sich derzeit 51 Unternehmen in der sogenannten roten Zone, das heißt, Unternehmen, die stillgelegt sind oder kurz vor dem Stillstand stehen, d. h. Bergwerke und Tagebaue", umriss Islamow in einer erweiterten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik des Föderationsrates die Situation.
Seit März ist Islamow im Energieministerium für die Kohleindustrie zuständig. Er übernahm die Verantwortung von seinem Vorgänger Sergej Moltschalnikow, der im Kontext der Abwicklung unrentabler Bergwerke verhaftet und im Februar 2025 aus dem Amt des stellvertretenden Ministers entlassen wurde.
Niedrige Preise, Sanktionen und hohe Logistikkosten
Islamow stammt aus der wichtigsten Kohleregion Kemerowo im Kusbass, wo Zechenschließungen und gestoppte Lohnfortzahlungen bereits um sich griffen. Als Gründe für die Misere in der russischen Kohleindustrie nannte er im Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Tass Anfang Juli "niedrige Weltmarktpreise, Sanktionen, die die Logistikrouten deutlich verlängerten, und die Stärkung des Rubels."
Aufgrund dieser Faktoren hätten sich die Kohlekosten seit Jahresbeginn fast verdoppelt. Außerdem hätten im Land begrenzte Transportkapazitäten im Osten zu höheren Logistikkosten geführt.
In diesem Jahr habe sich die Lage weiter verschärft, bestätige Islamow im Interview: "Allein im ersten Quartal beliefen sich die Verluste der Kohlebergleute auf 79,9 Milliarden Rubel." Der Anteil unrentabler Unternehmen sei von 53 Prozent im Jahr 2024 auf 62 Prozent gestiegen.
Von der drohenden Schließung der besagten 51 Unternehmen seien 32.600 Menschen betroffen, die 65 Millionen Tonnen Kohle produzieren. Mindestens 15 Prozent der russischen Kohleförderung könnten ohne Unterstützungsmaßnahmen verloren gehen.
Die Verluste der Kohleunternehmen würden in diesem Jahr insgesamt 300–350 Milliarden Rubel und die Verbindlichkeiten 1,5 Billionen Rubel erreichen. Im vergangenen Jahr betrugen diese 1,2 Billionen Rubel.
Beschäftigungs- und Produktionsniveau halten
Dem sollen die beschlossenen Regierungsmaßnahmen von Ende Mai entgegenwirken. Sie sehen Erleichterungen bei der Rohstofffördersteuer und bei Versicherungen von Juni bis Dezember dieses Jahres, bei Bedarf auch länger, vor. Sibirische Kohleunternehmen sollen dazu Entschädigungen in Höhe von 12,8 Prozent des Zolltarifs für den Exporttransport von Kohle in nordwestlicher und südlicher Richtung erhalten. Dazu sind Umstrukturierungen der Kreditschulden bei Banken und Einzelhilfen geplant.
Mit diesen Maßnahmen ließen sich Beschäftigungs- und Produktionsniveau in der Kohlebranche halten, bekräftigte Islamow. Im vergangenen Jahr sank die Kohleförderung seinen Angaben nach gegenüber 2022 um 5 Millionen Tonnen auf 438 Millionen Tonnen.
Bereits um 5 Millionen Tonnen sei in den ersten fünf Monaten 2025 die Kohleförderung im Kusbass gefallen, während sie sich in weiter östlich gelegenen Regionen wie Jakutien erhöhte. Folglich habe der Produktionsrückgang insgesamt bei 1 Million Tonnen gelegen.
Transportengpässe beseitigen
Die Kohleexporte aus Russland legten von Januar bis Mai aufgrund der Exporte aus Jakutien über die Pazifik-Eisenbahn um 0,5 Prozent zu, erläuterte Islamow. Im vergangenen Jahr waren die Exporte nach Angaben von Vizepremier Alexander Nowak von 212,5 im Vorjahr um 7,7 Prozent auf 196,2 Millionen Tonnen gesunken. Im Vorkriegsjahr 2021 beliefen sie sich auf 223,4 Millionen Tonnen. Im August 2022 stellten Europa und Großbritannien auf Grundlage von Sanktionen den Kohleimport aus Russland komplett ein.
Moskau lenkte die Exportströme nach China, Indien und in die Türkei um. China nimmt aktuell knapp die Hälfte der russischen Kohle ab und reduzierte 2024 die Importe aus Russland um 7,8 Prozent. Islamow geht davon aus, dass China an russischer Kohle interessiert ist und spätestens ab 2026 wieder mehr Kohle aus Russland importiert.
Um mehr Kohle nach China zu liefern, müssten in Russland Transportengpässe beseitigt werden.
In der Zusammenarbeit mit dem Verkehrsministerium und der Russischen Eisenbahn gehe es darum, die Fahrzeiten der Züge zu verkürzen und die Kosten für gemietete Waggons zu senken. In den Häfen sollten dazu deutlich sinkende Umschlagkosten für Entlastung sorgen.
Bleibt für Islamow zu hoffen, dass die Rettungsmaßnahmen gefallenen Investitionen entgegenwirken, die Kohlepreise am Weltmarkt wieder anziehen und der Exportanstieg sich verfestigt.