Neo-Faschistin Meloni: Trotz radikaler Rhetorik auf US-, Nato- und EU-Linie

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einer Tagung des Europarats der EU in Brüssel, 26. Oktober 2023. Bild: Italienische Regierung / CC BY-NC-SA 3.0 IT Deed

Sie machte extrem-rechte Versprechungen in Italien. Doch davon ist wenig geblieben, selbst beim Thema Migration. Warum ist das so? Gastbeitrag.

Vor einem Jahr befürchteten viele Experten, dass sich die Regierung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als radikal erweisen würde. Das lag nicht nur an den Wurzeln ihrer Partei in der extremen Rechten, sondern auch daran, dass sie mit dem Versprechen, großer Veränderungen vorzunehmen, ins Amt kam.

Daniele Albertazzi ist Professor für Politik und Co-Direktor des Zentrums für Großbritannien und Europa, Universität von Surrey.

Nach einem Jahr als Ministerpräsidentin hat Meloni nicht davor zurückgeschreckt, einen Kulturkampf anzuzetteln. Der erbitterte Streit um das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ist ein typisches Beispiel dafür.

In anderer Hinsicht war die Amtszeit dieser Regierung bisher jedoch weit weniger ereignisreich als erwartet. Die Notwendigkeit, gegenüber internationalen Partnern ein bestimmtes Image zu vermitteln, und der Mangel an finanzpolitischem Spielraum im eigenen Land, haben dazu geführt, dass sie versucht hat, von ihrem Image als Rechtsextremistin wegzukommen.

In außen- und sicherheitspolitischen Fragen hat Melonis Regierung denselben Weg eingeschlagen wie ihr Vorgänger, Mario Draghi. Meloni verfolgt eine strikte Pro-USA- und Pro-Nato-Linie, sei es in Bezug auf die Ukraine oder den Konflikt zwischen Israel und der Hamas.

Jede italienische Nachkriegsregierung ist früher oder später (und in der Regel früher) zu dem Schluss gekommen, dass den Interessen des Landes am besten gedient ist, wenn es sich in der Nähe der USA und der Nato aufhält und "im Herzen Europas" bleibt. In diesem Sinne ist Melonis Amtsführung keine Ausnahme.

Meloni hat sich bemüht, ihre US-amerikanischen Verbündeten davon zu überzeugen, dass sie eine "Gemäßigte" ist. Und im eigenen Land hat sie eine freundschaftliche Beziehung zu Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission, aufgebaut.

Eine Position, die aus finanzieller Sicht sinnvoll ist, da Italien den größten Teil des EU-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU nach der Pandemie erhält.

Und dann sind da noch die internationalen Finanzmärkte. Als unverantwortliche und extremistische Regierungschefin angesehen zu werden, birgt echte Risiken für jede Regierung eines Landes, das in hohem Maße auf ausländische Investoren angewiesen ist, um die Gesamtschuldenlast von über 140 Prozent des BIP zu bedienen.

Die Erinnerungen an die vorherige rechte Regierung, die 2011 aufgrund erheblicher finanzieller Turbulenzen ihre parlamentarische Mehrheit verlor, sind in Italien noch frisch. Meloni hatte als Mitglied dieser Regierung, die von einem gewissen Silvio Berlusconi geführt wurde, zum ersten Mal Erfahrungen in einer Führungsposition (als Jugendministerin) gesammelt, sodass sie das wahrscheinlich auch nicht vergessen hat.

Auf Kollisionskurs?

Melonis offensichtliche Vorsicht und Zurückhaltung stehen jedoch im Widerspruch zu den Versprechen, die sie den Wählern vor ihrer Wahl gegeben hat, was sie möglicherweise auf Kollisionskurs mit ihrer eigenen Wählerschaft bringt.

So hatte sie beispielsweise versprochen, eine "Seeblockade" zu errichten, um die Boote mit Migranten und Asylbewerbern abzuwehren, die aus Nordafrika nach Italien kommen. Stattdessen verpflichtete sich die EU, Tunesien dafür zu bezahlen, dass es seine Grenzen verschärft, um die Ausreise von vornherein zu verhindern.

Nun ist auch diese Vereinbarung nicht mehr in Sicht. Melonis Innenministerium berichtet, dass sich die Zahl der Einreisen auf dem Seeweg seit 2022 fast verdoppelt und seit 2021 fast verdreifacht hat.

Auch an der wirtschaftlichen Front sieht es für Meloni nicht besser aus. Viele ihrer Wähler wurden in dem Glauben gelassen, dass ihre Regierung eine 2011 durchgeführte Reform des Rentensystems rückgängig machen würde und sie früher in Rente gehen könnten.

Doch Finanzminister Giancarlo Giorgetti sagt nun, dass es doch keine umfassende Reform des Rentensystems geben wird. Im Gegenteil, er hat gewarnt, dass angesichts des prognostizierten Anstiegs der Gesamtausgaben für die Renten um fast acht Prozent im Jahr 2023 stattdessen eine strenge Kontrolle der öffentlichen Ausgaben unumgänglich sei.

Rechtspopulistische Parteien werden in ganz Europa zunehmend zu Regierungsparteien. Sie unterliegen jedoch den gleichen äußeren Zwängen wie jede andere Regierung auch.

Im Falle Italiens muss die Regierung fiskalische Zurückhaltung üben, um die Finanzmärkte bei Laune zu halten, und sie weiß, dass eine gute Beziehung zur EU-Kommission für ihren Erfolg entscheidend ist.

In Anbetracht des Ausmaßes und der Geschwindigkeit, mit der die im Wahlkampf 2022 gemachten Versprechungen nun auf Eis gelegt werden, läuft Melonis Regierung jedoch Gefahr, bei den rechten Wählern den Eindruck zu erwecken, sie würde nur reden und nichts tun. Das stellt Meloni vor ein Dilemma.

Angesichts der Unbeständigkeit der Wahlen in Italien kann sie es sich auf keinen Fall leisten, ihre neu gewonnenen Anhänger als gegebene Klientel vorauszusetzen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit The Conversation. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.