Kristalle in der Raumzeit
Gibt es Zeitkristalle? Ein seltsames Phänomen sorgt für hitzige Diskussionen unter Physikern
Es gibt eine ganze Reihe Konzepte, die den, der sie vertritt, unter Physikern sehr schnell zu einer Art Outlaw werden lassen. Die Idee, dass sich die Masse eines Körpers abhängig von seiner Geschwindigkeit verändert, gehörte lange dazu. Manche Konzepte kommen zurecht auf die Schwarze Liste, weil diejenigen, die zuerst davon berichteten, mit Lug und Trug vorgingen - die kalte Kernfusion ist so ein Thema. Erst in jüngster Zeit und unter anderem Namen, Niedrigenergie-Kernreaktion, darf sie sich wieder auf seriösen Konferenzen blicken lassen.
Die Vorstellung, etwas könne aus dem Nichts entstehen, hat erst die moderne Quantentheorie wieder in die Physik einfließen lassen. Das Konzept des Perpetuum Mobile jedoch, einer Maschine, die sich unaufhörlich bewegt, lässt jeden halbwegs vernünftigen Physiker verächtlich den Mund verziehen. Insofern spricht es für Frank Wilczek, dass er sich trotzdem nicht davon abbringen ließ, vor einem Jahr die Existenz so genannter Zeitkristalle zu postulieren.
Dabei handelt es sich, abstrakt formuliert, um physikalische Strukturen, die sich in einem zeitlichen Muster wiederholen, ohne dabei jemals Energie abzugeben. Der Begriff ist in Analogie zu einem gewöhnlichen Kristall gewählt, bei dem die Atome gewissermaßen in den räumlichen Dimensionen gefrieren. In einem Kristall gibt es Orte, an denen sich Atome befinden können, und andere Stellen, wo sie sich nicht aufhalten können. Ein Kristall bricht also die Symmetrie des Raumes: Es sind nicht mehr alle Orte gleichberechtigt. Die berechtigte Frage ist: Lässt sich diese Konzept auf die vierdimensionale Raumzeit erweitern? Falls ja, müsste es ebensolche Strukturen in der Zeit geben, die wir im Zeitablauf als fortdauernde Wiederholung wahrnehmen.
Dass Wilczek zufällig Nobelpreisträger ist, erhöhte natürlich die Aufmerksamkeit für seine Ideen. Als rangniedriger Assistent an irgendeinem Patentamt wäre es ihm vermutlich schwerer gefallen, sie zu publizieren. Beispiele für mögliche Zeitkristalle ließ Wilczek sich ebenfalls einfallen - etwa einen supraleitenden Ring, in dem die Elektronen reibungslos fließen, sodass sich für sie das Vergehen der Zeit gar nicht mehr nachweisen lässt.
Inzwischen gibt es allerdings auch die ersten ausgereiften Reaktionen aus der Forschergemeinde. Vor ein paar Wochen zeigte der Physiker Patrick Bruno, dass sich viele der Systeme, die als Kandidaten für Zeitkristalle in der Diskussion waren, nicht in ihrem energetischen Grundzustand befinden. Die Elektronen etwa müssten irgendwann Energie aufgenommen haben, um ihre Reise zu beginnen. Es muss aber rein statistisch für jedes System, das nicht im Grundzustand ist, irgendwann der Moment kommen, in dem es in diesen wechselt. Wo es also Energie abgibt - doch damit genügt es der Definition eines Zeitkristalls nicht mehr.
Die Argumentation der Schweizer Physiker ist allerdings nicht genereller Art - er zeigt nur, dass das von Wilczek erdachte Beispiel nicht passt (und viele ähnliche Konzepte ebenfalls nicht). Deshalb sind die Physiker nun auf der Suche nach neuen Beispielen. Die sollen allerdings nicht zur Konstruktion eines Perpetuum Mobile dienen. Da ein Zeitkristall ja per Definition keine Energie abgibt, taugt er dafür auch gar nicht. Die spannende Frage ist vielmehr eine, die nach den grundlegende Eigenschaften des Phänomens Zeit fragt: Lässt sich auch die Symmetrie der Dimension Zeit brechen?
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