Entlastungspaket Energiepreise: EU-Mitglieder gegen deutschen Alleingang

Reaktionen auf den Scholz-Wumms: Das 200-Milliarden-Paket mit der Gaspreisbremse wird für gut befunden, wenn es zu einer EU-weiten Ausweitung "mit der Zulassung gemeinsamer Schulden" kommt.
Der deutsche 200-Milliarden-Abwehrschirm, der vergangene Woche von Kanzler Scholz und seinen Vizes Habeck und Lindner angekündigt wurde, beunruhigt EU-Mitgliedsstaaten. Man will kein deutsches Solo, sondern Solidarität.
So inspirierte der "Doppel-Wumms" (Scholz) Ungarns Premierminister ebenfalls zu einer knalligen Wortwahl. Viktor Orbán sieht im deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) den "Anfang des Kannibalismus in der EU". Die Sanktionen gegen Russland würden in ihren finanziellen Konsequenzen alle betreffen, aber es gebe keinen gemeinsamen Fonds, um sie abzufangen, moniert Orbán.
Die reichen Länder würden ihre Unternehmen "mit riesigen Summen retten", während die armen dies nicht tun können, beschrieb der ungarische Ministerpräsident die Lage aus seiner Sicht. Auch der griechische Energieminister Kostas Skrekas plädierte für einen europaweiten Gaspreisdeckel.
Doch nicht nur vom Rand, sondern auch aus dem Zentrum der EU entsprang ein steter Fluss an kritischen Distanzierungen. Man werde sich das deutsche Vorhaben genau anschauen, reagierte die EU-Kommission am vergangenen Freitag.
Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, und Paolo Gentiloni, EU-Kommissar für Wirtschaft, veröffentlichten als Reaktion einen Artikel in der FAZ. Dort pochten sie auf ihre Sorge über eine Verzerrung des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt.
Bitte jetzt keinen Subventionswettbewerb, mahnen die beiden Kommissare. Ihre grundsätzlichen Vorbehalte sind dem Vorwurf von Orbán sehr ähnlich, nur verbal weniger offensiv in Frageform gekleidet.
Was heißt das für die Mitgliedstaaten, die nicht über denselben haushaltspolitischen Spielraum wie Deutschland verfügen, um ihre Unternehmen und Haushalte vergleichbar zu unterstützen?
Thierry Breton und Paolo Gentiloni
Solidaritätsforderungen
Breton und Gentiloni loben den deutschen Abwehrschirm, sie würden ihn nur gerne über die ganze EU aufgespannt sehen. So die freundliche Fassung einer Haltung, die hinter den Kulissen wohl schärfer ausfällt, wie das Zitat Gentilonis von Euroactiv nahelegt: Dies sei "nicht der Moment", so der EU-Kommissar für Wirtschaft, "um diese oder jene Anstrengung eines einzelnen Mitgliedstaates zu tadeln".
Lieber Solidarität fordern, statt Kritik üben, lautet die Route, die die Kritiker auf EU-Ebene einschlagen wollen: Das massive Hilfspaket sei genau die Antwort, die man in ganz Europa brauche.
Angesichts der kolossalen Herausforderungen, die vor uns liegen, gibt es nur einen Weg: Europa muss solidarisch sein. Um zu verhindern, dass die unterschiedlichen Spielräume, die die Staaten in ihren jeweiligen nationalen Haushalten haben, zu internen Verwerfungen führen, müssen wir über gemeinsame europäische Instrumente nachdenken.
Thierry Breton und Paolo Gentiloni
Die beiden EU-Kommissare schlagen Schritte der Europäischen Zentralbank vor, die eine "starke europäische fiskalische Antwort geben und die volatilen Finanzmärkte beruhigen". Dabei verweisen sie auf das Vorbild des Sur-Programms der EU, das in der Corona-Krise zur Finanzierung der Kurzarbeit aufgelegt wurde.
Grob auf einen Kern zusammengedrängt: Die Maßnahmen, die Breton und Gentiloni vorschweben, laufen auf bessere Kreditbedingungen hinaus.
Lindner unter Druck
Auch der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire findet den deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfonds so gut, dass er "Vergleichbares gerne für die gesamte EU hätte, finanziert mit gemeinschaftlichen, europäischen Schulden", berichtet die Tagesschau.
Wie in der Corona-Krise solle man eine europäische Wirtschaftsstrategie entwickeln - "mit der Zulassung gemeinsamer Schulden".
Finanzminister Lindner hatte solche Forderungen anscheinend nicht auf dem Plan. Er wehrt ab.
Andere Instrumente gemeinsam in Europa, als die, die wir gegenwärtig haben, sehen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht als erforderlich an.
Christian Lindner
Abzusehen ist, dass der Druck aus den großen EU-Ländern Frankreich, Italien und Spanien vor dem Hintergrund der Angst vor einer neuen Finanzkrise wachsen wird.
Der Platz für einen deutschen Alleingang, wie ihn Scholz, Habeck und Lindner konzipiert haben, könnte eng werden, auch wenn Lindner noch so sehr betont, dass das Hilfspaket von 200 Milliarden Euro nichts mit einem nationalen Konjunkturprogramm zu tun habe:
"Deutschland bringt kein Konjunkturpaket auf den Weg. Deutschland kurbelt die Nachfrage nicht an. Wir stimulieren nicht die Wirtschaft."