Covid-19-Todesfälle: Untersuchungsausschuss setzt Schwedens Regierung unter Druck

Prioritäten für den Schutz der alten Menschen "nicht klar genug gesetzt"

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"Die Regierung muss agieren oder abtreten", so Ebba Busch, die jung-dynamische Chefin der schwedischen Oppositionspartei Christdemokraten. Seit der Veröffentlichung der Untersuchungskommission über die vielen Todesfälle durch Covid-19 unter den alten Menschen, ist es bei Oppositionspolitikern mit der Zurückhaltung gegenüber der Krisenpolitik vorbei, die die rotgrüne Minderheitsregierung unter Stefan Löfven verantwortet.

Die alten Menschen seien von der Regierung im Stich gelassen worden, so Busch, und der sonst zurückhaltende König Carl XVI. Gustaf meint zur Krisenstrategie: "Ich denke, dass wir gescheitert sind."

Die Regierung und die Behörden haben "zu spät und unzureichend reagiert", heißt es in dem Bericht, der am Dienstag vorgestellt wurde. Verantwortliche gebe es viele, "doch die Regierung lenkt das Reich", so Mats Melin, Vorsitzender der Kommission. Sie stehe an erster Stelle.

"Die Angestellten in den Heimen allein gelassen"

Nach der Statistik von Ende November starben 3.002 Personen in Altersheimen sowie 1.696 Pflegebedürftige mit Heimdienst an oder mit Covid-19.

Die Regierung habe die Angestellten in den Heimen allein gelassen. Vor allem die langsam eingeführten Maßnahmen wurden angeprangert.

In der Analyse der Kommission kann der Vergleich mit Norwegen und Finnland nicht fehlen, wo weit weniger Opfer zu beklagen sind. Dort wurde unmittelbar beim ersten Todesfall ein Besuchsverbot für die Altersheime erlassen, in Schweden erst, als es bereits hundert Tote gab. Auch erließen die skandinavischen Nachbarn strengere Bestimmungen für das Personal der Pflegeheime und testeten intensiver.

Die Strukturprobleme, die verwirrende Kompetenzverteilung unter Kommunen und Regionen seien auch schon der bürgerlichen Vorgängerregierung bekannt gewesen, die ebenfalls keine Reformen angepackt haben.

In Schweden wurde auf Privatisierung der Altersheime gesetzt und innerhalb von zwanzig Jahren dreißig Prozent der kommunalen Altersheime abgeschafft, die Menschen, die eingeliefert werden, sind darum weitaus gebrechlicher und kränker.

Zudem war das Gesundheitsamt nicht in der Lage, die Pflegekräfte zu testen und mit Schutzausrüstung zu versorgen. Auch waren die Pfleger zu einem großen Teil schlecht bezahlte Migranten, die in beengten Verhältnissen wohnen, wo sich das Virus rasch ausbreiten kann. Oft ließen diese sich nicht krankschreiben, da sie auf den Lohn angewiesen waren.

Das Gesundheitsamt und das "Socialstyrelsen" (eine Art Gesundheitsamt mit Fokus auf die Verwaltung) hätten die Prioritäten für den Schutz der alten Menschen viel klarer setzen müssen, so die Kommission. Das Socialstyrelsen soll erst Ende April gesehen haben, wie der Bedarf für Schutzausrüstung in den Heimen aussehe.

Regierung in der Defensive

"Während des Frühlings wurde deutlich, dass wir es nicht geschafft haben, die Älteren zu schützen", so Gesundheitsministerin Lena Hallengren selbstkritisch und versprach mehr Investitionen in medizinisches Fachpersonal für die Altenpflege.

Zu Entscheidungen wie das späte Besuchsverbot in den Altenheimen wollte sie jedoch keine Verantwortung übernehmen oder gar den Rücktritt einreichen. Die Besuchserlaubnis für Altersheime, die nach dem Oktober wieder erteilt wurde, ist nur teilweise kommunal aufgehoben, in manchen Altersheimen gilt sie immer noch.

Lange hörte die Regierung auf die Anweisungen des Gesundheitsamtes, deren bekanntester Vertreter der Staatsepidemiologe Anders Tegnell ist. Dieser riet auch von einem Lockdown im Frühjahr ab, was Schweden weltbekannt machte. Gerade bei dieser Strategie hätten die Alten besonders geschützt werden müssen.

Tegnell will auch die Kritik der Kommission an dem Gesundheitsamt nicht gelten lassen: "Wir waren sehr deutlich von Anfang an, dass die Älteren in der Gesellschaft sehr verwundbar sind." Er verteilte die Verantwortung auf das Kollektiv: "Wir alle hätten mehr tun können."

Allerdings stemmt sich der Mediziner gegen das Tragen von Masken, das das Gesundheitsamt für die Altenheime erst Ende Mai zögerlich empfahl. Auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln wird in Schweden ohne Bedeckung von Mund und Nase gefahren. Die Behörde etwa im besonders betroffenen Stockholm rät, lieber auf Busse, Straßenbahn sowie U-Bahn zu verzichten, als dort eine Maske zu tragen.

Spannungen zwischen Regierungschef Stefan Löfven und Tegnell

Erst im November soll es zu Spannungen zwischen Regierungschef Stefan Löfven und Tegnell gekommen sei, da dieser sich von der zweiten Welle überrascht zeigte, er hatte sie für Schweden ausgeschlossen. Seitdem agierte der sozialdemokratische Politiker unabhängiger von den Experten der Behörde.

Der 64-jährige Mediziner kann sich nach jüngsten Umfragen weiterhin eines großen Vertrauens erfreuen - 59 Prozent der Schweden zählen auf ihn, Ende Oktober waren es allerdings noch 72 Prozent.

Mit dem Vertrauen gegenüber des Sonderwegs ist es bei der Opposition deutlicher vorbei. Annie Lööf, Parteivorsitzende des liberalen Zentrums, fordert nun die Regierung auf, sich dem Rat der Behörde zu widersetzen und den Mundschutz zu empfehlen, um so "viele Menschenleben zu retten". Auch die Schwedendemokraten, die sonst mit dem Zentrum kaum Schnittmengen haben, verlangen eine Empfehlung der Politik für die Bedeckung von Mund und Nase.

Die rotgrüne Regierung ist so in der Defensive. Der Abschlussbericht der Corona-Kommission folgt im Februar, im Herbst darauf werden die Schweden dann bei den Parlamentswahlen ein Votum auch über das Krisenmanagement abgeben.

Um die Situation zu beruhigen, haben Stefan Löfven und Lena Hallengren am Donnerstag angekündigt, Schnelltests beim Personal in Altersheimen neben den PCR-Test einzuführen.

Impfung ab 27. Dezember, Intensivbetten, Personal

Am 27. Dezember wird das Impfen in Schweden beginnen, das Gesundheitsamt rechnet mit weiter steigenden Zahlen der Neuinfektionen und der Toten.

Am Donnerstag wurden für die vergangenen 24 Stunden 91 Todesfälle mit Covid-19 gemeldet, insgesamt sind es 7.893. Die Fallzahlen stiegen um 8.881 auf insgesamt 357.466 registrierte Fälle. Auf den Intensivstationen liegen 280 Personen mit Covid-19 (Anm. d. Red.: die höhere Zahl, von der hier zuvor berichtet wurde, war eine Summe seit März).

Und hier droht die nächste Krise. Während Schweden bislang keine Überlastungen der Kapazitäten in den Krankenhäusern zu verzeichnen hat, ist dies für die Zeit um Weihnachten nicht sicher.

Vor allem nicht für den Corona-Hotspot Raum Stockholm, wo es nur noch zwischen zehn und zwanzig freie Intensivbetten gibt.

"Die Situation im Gesundheitswesen ist zum Verzweifeln. Das Personal in den Krankenhäusern im Raum Stockholm ist überbelastet und braucht eine Entlastung", appelliert Björn Eriksson, Direktor für Gesundheit für den Bereich der schwedischen Hauptstadt.

Die Notlage des schwedischen Gesundheitssystems scheint so eklatant, dass die von der Pandemie weniger betroffenen Nachbarn Norwegen und Finnland angeboten haben, Personal zu schicken sowie schwedische Patienten bei sich aufzunehmen.

Dieses von Eriksson begrüßte Angebot wird jedoch vom "Socialstyrelsen" zurückgewiesen. Schweden habe noch genügend Kapazitäten.

Der Personalmangel nimmt vor allem in der Hauptstadt ernste Formen an, offizielle Zahlen gibt es nicht, doch sollen 34 von 50 Krankenschwestern seit Januar auf der Intensivstation des Danderyd-Krankenhauses im Norden Stockholms gekündigt haben, so ein Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders svt.

Aber auch aus den ebenfalls betroffenen Regionen um Göteborg und Schonen gibt es Hilferufe der Kliniken. Somit kann es an Weihnachten zu einem Kollaps kommen - der versprochene Weihnachtsurlaub kann in vielen Krankenhäusern nicht eingehalten werden, was zu mehr Kündigungen führen wird, wie Direktoren der Krankenhäuser des Landes befürchten.