Bergbaukatastrophe: "Nie wieder Brumhadino!"

Isadora Canela, Fungus Food, 2022. Foto: A. Naica-Loebell
Abbau von Rohstoffen in Brasilien hat tödliche Folgen. In den Dammbruch in der Bergbaugemeinde Brumadinho sind auch deutsche Firmen und der TÜV Süd verstrickt.
Am 25. Januar 2019 um 12.28 Uhr brach in der Kleinstadt Brumadinho nahe Belo Horizonte im Südosten Brasiliens der Damm des Rückhaltebeckens einer Eisenerzmine, die dem Unternehmen Vale gehört.
Eine riesige Schlammflut aus Abraum und Abwasser ergoss sich ins Tal und zerstörte alles, was sich in ihr in den Weg stellte. Gebäude wurden zermalmt, eine Eisenbahnbrücke in Stücke und mitgerissen. 272 Menschen starben, vor allem Arbeiter und Angestellte der Mina Córrego do Feijão, aber auch Anwohner. Die Identifizierung der Toten gestaltete sich schwierig, denn viele der Leichen wurden in Fetzen zerrissen.
Aus dem Becken flossen 12 Millionen Kubikmeter feinkörnige, giftige Rückstände aus der Erzaufbereitung acht Kilometer weit bergab und am Ende in den Fluss Paraopeba, dessen Ökosystem daraufhin kollabierte.
Durch die giftige Schlicklawine wurden mehr als 133 Hektar einheimische atlantische Waldvegetation und fast 71 Hektar Schutzgebiete entlang der Wasserläufe zerstört.
Over (the) Mine
In München präsentieren kürzlich drei brasilianische Künstlerinnen, die als Artist in Residence im Ebenböckhaus zu Gast waren, eine Ausstellung zum Thema mit dem Titel "Over (the) Mine". Die Gastkünstlerinnen Isadora Canela, Lis Haddad und Thaís Paiva Machado forschen und arbeiten zur Ausbeutung der Minen und ihrer Arbeiter:innen im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, in dem auch Brumadinho liegt. Mit ihren Werken wollen die Künstlerinnen aus dem globalen Süden "die Karten der Zerstörung neu ordnen und neue Perspektiven eröffnen".
Es geht ihnen um einen umfassenden Blick auf die dunklen Seiten des Bergbaus, sowohl auf die Folgen für die Gesellschaft und Demokratie in Brasilien als auch auf die internationalen Verstrickungen, denn unter anderen verdienen deutsche Firmen und Banken bis heute kräftig mit.
In ihrem Statement zur Ausstellung beziehen die Künstlerinnen klar Position:
Der Bergbau ist das Fundament, auf dem das kolonisierende, räuberische und mörderische Gesellschaftsmodell der Moderne aufbaut. Er war der Grund dafür, dass lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Territorien jahrhundertelang europäische Kolonien blieben... Dies ist keine Geschichte aus der Vergangenheit.
Schauen Sie sich um, und Sie werden feststellen, dass der Bergbau Sie umgibt. Eisen und andere Mineralien sind wahrscheinlich in den Gegenständen enthalten, die Sie in diesem Moment berühren, genau wie in Ihrem Alltag: Das Mobiltelefon, der Zug, das Auto, das Fahrrad, das Telefon.
Aber auf der anderen Seite des Globus zeigt sich der kommerzielle Nutzen von Metallen in anderen Form: kilometerlange Löcher in einer Landschaft, die von der Logik der Kommerzialisierung der Erde völlig krank gemacht wurde. Narben. Der Bergbau, so wie er betrieben wird, ist ein Imperativ des Todes – kulturell, ökologisch und menschlich.
Lis Haddad, Isadora Canela und Thaís Paiva Machado
Internationale Verstrickungen
Die Katastrophe von Brumadinho ist nicht die erste ihrer Art. Leider gehört sie zu einer Serie von Unglücken, die der Bergbau in Brasilien verursachte. Am bekanntesten ist der Dammbruch von Bento Rodrigues am 5. November 2015, bei dem 19 Menschen starben. Das Auslaufen des Rückhaltebeckens einer Erzmine in der Stadt Mariana im Bundesstaat Minas Gerais verursachte darüber hinaus eine gigantische Umweltkatastrophe.
Der Schlamm voller toxischer Chemikalien und Schwermetalle vergiftete 680 Kilometer des Flusslaufes des Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und des Rio Doce und bedrohte Meeresschutzgebiete an dessen Mündung. Die Bilder von Tonnen toter Fische, die auf dem Wasser trieben oder an den Ufern angeschwemmt wurden, haben sich vielen Leuten weltweit eingeprägt.
Noch heute leiden die Menschen in der Region unter den Folgen der riesigen giftigen Schlicklawine (Die Vergessenen vom Rio Doce).
Rücksichtslose Naturausbeutung
Die Mine in Mariana wurde von der Firma Samarco betrieben, die jeweils zur Hälfte dem Rohstoffunternehmen BHP, mit Sitz in Australien, und Vale, Brasiliens größter Minenbetreiber, einem der drei größten Bergbauunternehmen weltweit, gehörte. Derselbe Konzern, der auch die Mine in Brumadinho betrieb.
Vale hatte schon lange vorher einen schlechten Ruf, was den guten Geschäften, unter anderen mit deutschen Stahlproduzenten, lange keinen Abbruch tat.
Bereits 2012 bekam Vale den Schmähpreis Public Eye für kontinuierliche "Menschenrechtsverstösse, unmenschliche Arbeitsbedingungen und rücksichtslose Naturausbeutung" verliehen, und speziell für seine Beteiligung am Bau des Belo-Monte-Staudamms im Amazonas, für den trotz heftiger Proteste Zehntausende Menschen zwangsumgesiedelt wurden.
An diesem umstrittenen Staudamm-Bauprokjekt haben auch deutsche Firmen kräftig verdient, darunter die Allianz, Munich Re und Daimler-Benz.
Raubbau und Umweltzerstörung
Deutsche Firmen machen Profite auf Kosten vor allem der indigenen Bevölkerung und der Natur in Brasilien. Darauf machen schon seit vielen Jahren verschiedene Nichtregierungsorganisationen aufmerksam, darunter Medico International.
Bereits 2016 erschien ein Buch mit dem Titel "Deutsche Konzerne im Zwielicht. Abstauben in Brasilien". Der Autor, Brasilienexperte und Mitglied der "Kritischen Aktionäre", Christian Russau, schreibt über die Verantwortung deutscher Firmen, er fordert von ihnen ein verantwortliches Verhalten bezüglich der Menschenrechte und der Umwelt sowie eine entsprechende Sorgfaltspflicht.
Brasilien ist nach Angaben der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer der wichtigste Lieferant von Erzen, Metallen und Industriemineralien für die deutsche Industrie. Die Hälfte des hierzulande verarbeiteten Eisens stammt aus brasilianischen Minen. Das Metall steckt nicht zuletzt in den vielen Autos "made in Germany".
Dunkle Tiefen
Isadora Canela, Lis Haddad und Thaís Paiva Machado fordern die deutsche Gesellschaft nachdrücklich dazu auf, "über die dunklen Tiefen des Bergbaus nachzudenken und Räume für andere Realitäten zu öffnen". Sie prangern an, dass "große deutsche Banken derzeit in Bergbauunternehmen investieren, die Umwelt- und Menschenrechtskonflikte in Brasilien verursachen".
Die Deutsche Bank und die Commerzbank stehen in Geschäftsbeziehungen mit Bergbauunternehmen, die in "Amazonien die Exploration indigener Territorien vorantreiben wollen".
Den brasilianischen Künstlerinnen war es ein Anliegen, gerade in München ihre Werke zeigen zu können, denn sie wollen gezielt die Öffentlichkeit der Stadt erreichen, in der bereits ein Prozess vor dem Landgericht gegen den TÜV Süd begonnen hat, der den Damm in Brumadinho noch kurz vor der Katastrophe als sicher zertifiziert hatte.
Einige Experten sagen, es sei seit längerem bekannt gewesen, dass der Damm – wie viele ähnliche Dämme im Bergbau Brasiliens – Stabilitätsprobleme gehabt habe.
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Misereor erstatteten zusammen mit Betroffenen, die bei dem Dammbruch Familienangehörige verloren haben, bereits im Oktober 2019 Strafanzeige gegen den TÜV Süd.
Strafverfahren und Schadenersatzklagen
Der Bergbaukonzern Vale wurde unterdessen von brasilianischen Gerichten zu einer Entschädigung von umgerechnet rund 5,8 Milliarden Euro verurteilt. Das klingt nach sehr viel Geld und ist nach Aussage des Obersten Gerichtshofs im Bundesstaat Minas Gerais die größte Schadensersatz-Vereinbarung in der Geschichte Brasiliens. Aber es wird kaum ausreichen, um auch nur die kompletten Umweltschäden zu beseitigen, die durch den Brumadinho-Dammbruch angerichtet wurden.
Nach dem Bersten des Damms in Mariana 2015 zahlte der Betreiber Samarco umgerechnet circa 5,5 Milliarden Euro an Entschädigung, bei vielen der Hinterbliebenen und Geschädigten ist allerdings davon kaum etwas oder gar nichts angekommen. Jahre nach dem Desaster sind die Aufräumarbeiten noch längst nicht abgeschlossen und Verschmutzungen nicht beseitigt.
Zum Vergleich: Die Ölpest nach dem Brand auf der Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010 (Das Öl, die Interessen und das Meer) soll den Betreiber BP mehr als 65 Milliarden Dollar an Strafzahlungen und Schadensersatz gekostet haben.
Verfahren gegen den TÜV Süd
In München wird ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und ein Zivilprozess für Entschädigungen geführt.
Auch in Brasilien sind Gerichtsprozesse anhängig, die Staatsanwaltschaft wirft dem TÜV Süd vor, wider besseres Wissen vor allem seine wirtschaftlichen Interessen verfolgt zu haben. Zum Bergbaukonzern Vale habe ein "kriminelles Verhältnis" bestanden, bestimmt von "Druck, Absprachen, Belohnungen und Interessenkonflikten". Die Anklageschrift umfasst 460 Seiten.
Solche Verfahren dauern allerdings erfahrungsgemäß in Brasilien sehr lange und versanden oft letztlich nach Jahrzehnten oder werden eingestellt.
Den drei Künstlerinnen ist der vertiefte Einblick in den Prozess gegen den TÜV Süd sehr wichtig, deswegen luden sie zur Eröffnung ihrer Ausstellung eine Anwältin der internationalen Kanzlei PGMBM ein, die zusammen mit der Kanzlei Manner Spangenberg seit Herbst 2019 vor dem Landgericht München die Gemeinde Brumhadino und viele Opfer gegen den TÜV Süd vertreten.
Die in London lebende brasilianische Rechtsanwältin Bruna Ficklscherer berichtete im Ebenböckhaus, dass strukturelle Probleme am Rückhaltebeckens der Mine in Brumhadino bereits seit Jahren bekannt waren. Kontrollsysteme waren beschädigt, Abflussrohre verstopft, Wasser sickerte überall hervor, der Druck durch den Schlick aus verflüssigtem Abraum auf den Damm war sehr groß.
Staatsanwälte in Brasilien fanden heraus, dass der TÜV Süd bei seiner Zertifizierung nicht seine üblichen internationalen Sicherheitsstandards ansetzte, sondern deutliche niedrigere, lokale "Anpassungen an den Markt".
Bruna Ficklscherer findet klare Worte:
Das deutsche Unternehmen TÜV Süd zertifizierte einige Monate vor dem Bersten die Sicherheit des Brumhadino-Damms, und ließ damit den Betrieb des Rückhaltebeckens zu, obwohl sie von der Instabilität des Damms wussten. Das Damm-Desaster war eine Mischung aus betrieblicher Korruption und vorsätzliche Handlungen oder Unterlassungen, die direkt zum Tod von 272 Menschen und zur Zerstörung von Gemeinden, Familien, Lebensgrundlagen und der Umwelt führten.
Bruna Ficklscherer
Vor Gericht
Seit 2019 wird nun vor Gericht verhandelt. 2020 lehnte der TÜV Süd eine vom Gericht vorgeschlagene Schlichtung ab. Im September 2021 fanden die ersten Prozesstage statt. Im Februar dieses Jahres wurden dann mehr als 1.100 neue Kläger zugelassen, damit erreicht der geforderte Schadensersatz für die humanitäre und ökologische Katastrophe nun eine Höhe von mehr als 400 Millionen Euro.
Nun stehen juristische Stellungsnahmen des TÜV Süd an, die in zwei Schritten Mitte Juli und im September vorgelegt werden sollen. Die Kläger hoffen auf ein Urteil noch in diesem Jahr.
Bruna Ficklscherer ist zuversichtlich:
Mit dieser Klage in Deutschland wollen wir zunächst erreichen, dass die betroffenen Menschen eine faire Entschädigung und Gerechtigkeit erhalten. Indem wir das Unternehmen für sein Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen, weisen wir Regierungen und verantwortlichen Stellen auf die Notwendigkeit strengerer Vorschriften hin, auf die Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht sowie die Notwendigkeit, Leben über Gewinne zu stellen.
Wir wollen sicherstellen, dass internationale Sicherheitsstandards im Bergbau angewendet werden, auch wenn die Aktivitäten in Entwicklungsländern stattfinden. Die Zeiten, in denen Großkonzerne am anderen Ende der Welt machen, was sie wollen, und dabei die Auswirkungen ihres Handelns auf die Nachbarländer und lokale Gemeinden ignorieren, sollten nun vorbei sein. – Nie wieder Brumhadino!
Bruna Ficklscherer