Fürstliche Ruhegelder beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Das System hinter dem Fall Schlesinger

Schaufenster mit dem Spruch: "Was gucken Sie denn so? RBB"

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Gerichtsprozess: RBB gegen die Ex-Intendantin. Systemische Probleme: Die geheime Welt der Intendanten-Ruhegelder. Was Beitragszahler nicht erfahren.

Der Fall Patricia Schlesinger ist eine Zäsur. Vorher war es anders. Die Vorwürfe gegenüber der fristlos entlassenen, früheren RBB-Intendantin zerrissen den Vorhang zwischen einer abgeschiedenen Herrschaftssphäre und einem zahlenden Publikum, das vom Sonnenkönigtum an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Anstalten nur wenig wusste.

Gelegentlich gab es kurze Einblicke in ein finanziell gut ausgestattetes Dasein. Selten aber folgte daraus ein Aufruhr.

Ein Erdbeben

Anders bei der Causa Schlesinger. Sie hat, wie es der Deutschlandfunk im Sommer 2022 zusammenfasst, "den Rundfunk Berlin-Brandenburg in eine Krise gestürzt, die auf den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk abstrahlt".

Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalten sprechen von einem Erdbeben, das sich ereignete, seither sollen die Stühle in den Führungsetagen nicht mehr ganz so ruhig, abgesichert und behaglich bewohnt werden.

Die Vorwürfe

Die Vorwürfe lauten "Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme und Verschwendung", umstrittene Beraterverträge sind laut Deutschlandfunk Grund für Empörung, dazu "Schlesingers Gehaltserhöhung auf 303.000 Euro, zusätzliche Boni, einen hochwertigen Dienstwagen, die Renovierung der Chefetage und ein Abendessen in ihrer Privatwohnung auf RBB-Kosten mit angeblich falschen Rechnungen".

Und jetzt das Ruhegeld

In Schlesingers Fall sind 60 Prozent des letzten Basisgehalts als Ruhegeld vereinbart. Das ergibt einen üppigen Betrag von knapp 18.400 Euro pro Monat – zu zahlen wohlgemerkt von Januar 2023 bis zum Lebensende.

Legal Tribune Online (LTO)

Die Information stammt aus einem Bericht der LTO zum Prozessauftakt am Mittwoch vergangener Woche vor dem Landgericht (LG) Berlin II. Überschrieben ist er mit "RBB kommt altes Ruhegeldsystem teuer zu stehen". Damit wird schon alles Wesentliche angedeutet.

Stimmung, Sündenbock und Sitte

Wenn auch die wahrgenommene, "gefühlte" Stimmung unter einer wahrscheinlich größeren Anzahl von Beitragszahlern sowie von größeren Teilen der Öffentlichkeit eindeutig sein mag – gegen die Ansprüche einer allen Indizien zufolge selbstherrlich agierenden Ex-Intendantin gerichtet –, so gründet die Rechtsprechung nicht auf Meinungen, sondern auf eine präzise Auslegung von Verträgen und zieht dabei zu Rate, was sittengemäß ist.

Letztlich geht es da um die Beurteilung eines Systems und nicht allein um eine Person.

"Im Fall von Vertragsabreden gehe es da vor allem um Marktüblichkeit", zitiert der LTO-Bericht den Vorsitzenden Richter Thomas Markfort.

Markfort wies darauf hin, dass das Ruhegeld-System lange in der Privatwirtschaft etabliert gewesen sei. Nur weil sich die Üblichkeiten dort geändert hätten, mache das die gleichen Abreden bei Intendanten nicht sittenwidrig, wenn diese im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) noch verbreitet sind.

Legal Tribune Online (LTO)

Die Anwälte des RBB argumentieren gegen die rechtlichen Vertreter von Patricia Schlesinger, dass die Ruhegeld-Abrede sittenwidrig sei. Auf dem Spiel steht, dass der RBB, sollte das Gericht die Zahlungspflicht des RBB anerkennen, eine Summe "im mittleren siebenstelligen Bereich" zurücklegen müsste.

Viel Geld, das kreativer eingesetzt werden könnte

Das ist viel Geld, das, denkt man ans Programm, für das die Rundfunkbeitragszahler aufkommen, kreativer einsetzen kann, etwa wenn man die freien Mitarbeiter, die das Programm nicht gerade aus einer Komfortzone heraus machen, besser bezahlt.

Guter Journalismus – den der ÖRR angesichts der sehr viel lebendigeren und frischeren Konkurrenz in Form von freien Podcasts und Plattformen nötiger hat denn je – lebt von guter Bezahlung.

Dies ist aber nur ein Aspekt, der sich durch die Gerichtsverhandlung erneut herauskristallisiert. Es gibt darüber hinaus noch eine ganz grundsätzliche Ebene, bei der es um das obsolete Mindset des Ancien Régimes der öffentlich-rechtlichen Sender geht, um ihr Verständnis von Öffentlichkeit.

Die falsche Spur

Wer erwartet hatte, dass in Berlin nun vor allem Gerichtstag über das Fehlverhalten von Patricia Schlesinger gehalten wird, ist auf der falschen Spur, wie das Altpapier vom MDR sehr klar herausstellt.

Wahrscheinlicher ist, dass der Prozess etwas anderes deutlicher werden lässt: Das Problem war gar nicht so sehr, dass sich hier jemand, so lautet der Vorwurf, raffgierig über Sitten und Regeln hinweggesetzt hat. Das Problem waren die Sitten und Regeln selbst.

Dass Führungskräfte ab dem Zeitpunkt ihres Ausscheidens ausgesorgt haben, im Grunde nie mehr arbeiten müssen, aber doch jederzeit Geld dazuverdienen dürfen, ohne etwas abgeben zu müssen, das hat Patricia Schlesinger sich nicht ausgedacht. Das wurde durch ihren Fall öffentlich.

Ralf Heimann, Kolumne Altpapier

Dazu gibt es eine interessante Hintergrundbeleuchtung der epd-Medienjournalistin Diemut Roether zu Ruhegeldzahlungen in ARD und ZDF.

Das Ancien Régime

Ihren Ausführungen zufolge sind die systemisch hohen Ruhegelder für Führungskräfte der öffentlich-rechtlichen Anstalten aus der Konkurrenz der ÖRR mit privaten Sendern Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre entstanden. Die Privaten hätten für ihre Chefposten das Zehnfache der Intendantengehälter bei der ARD oder dem ZDF bezahlt.

Dort habe man darauf mit Angeboten auf eine bessere Versorgung reagiert. Die Ruhegelder seien in der Folge deutlich gewachsen.

Im Gesamtetat, so Roether, mache die üppige Versorgung der Chefetage zwar nur einen Bruchteil der Sendereinnahmen aus, aber auch sie bringt den Kontrast zu den Bezügen der freien Mitarbeiter ins Spiel.

Transparenz für Beitragszahler?

Was aber bislang nicht zur Sprache kommt, wo der Vorhang noch kaum gehoben wird, ist die Rolle des Verwaltungsrates, der bei Vertragsverhandlungen, wenn es um die hochbezahlten Posten geht, entscheidend mitredet – und mit seinen Mitgliedern auch die Politik.

Zwar werden Hinweise auf eine Klüngelei zwischen Schlesinger und dem alten RBB-Verwaltungsrat zum Thema gemacht, nicht aber die fehlende Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Im Klartext: Während die Sender über Honorare der Intendanten und der Direktion Berichte veröffentlichen, fehlt jede Öffentlichkeit für Ruhegeldbezüge. Die Beitragszahler erfahren nichts von diesen Ausgaben.

Das sollte sich ändern, wenn es den öffentlich-rechtlichen Sendern um Glaubwürdigkeit und Transparenz für die Erfüllung ihres Auftrages geht. Schließlich will man doch aus der Causa Schlesinger etwas lernen?

Verzicht auf 306.000 Euro

Laut FAZ wollte Richter Thomas Markfort noch keine Entscheidung im aktuellen Rechtsstreit treffen. Er gab den Parteien bis etwa Ende Mai Zeit, um möglicherweise eine Einigkeit auszuhandeln.

Die Zeitung kommentiert skeptisch:

Insgesamt dürfte der öffentliche Druck auf den Sender eine gütliche Einigung erschweren. Der RBB wird wohl nur einer Einigung zustimmen, die in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erweckt, dass Führungskräfte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei schwerem Fehlverhalten einfach davonkommen.

FAZ

Das ZDF berichtet hingegen:

Im Verlauf der Verhandlung am Landgericht Berlin erklärten die Anwälte von Schlesinger und die des RBB am Mittwoch, sich in Vergleichsverhandlungen einigen zu wollen.

Schlesinger, so zitiert LTO einen ihrer Anwälte, verzichte auf 18 Monate ihres Übergangsgeldes, "sodass der RBB erst ab Juli 2024 Ruhegeld zahlen muss. Nach Abzug von 25.000 Euro für Einkünfte aus 2023 würde Schlesinger damit auf 306.000 Euro verzichten".