Mimosen und Medusen
Horror: Staatsquallen erreichen Frankreichs Atlantikküste
Von Beckenschwimmern sagt man, dass sie Mimosen sind, "Sensibelchen". Ängstliche Schwimmer, sobald sie im Freien sind, ohne Chlor und eingezogene Bahnen, verfroren und schnell von den Wellen, die von keiner Überlaufrinne abgefangen werden, eingeschüchtert. Freiwasserschwimmer dagegen sind wesentlich härter, sagt der Trainer des Drittplatzierten im Langstreckenschwimmen bei den eben beendeten olympischen Spielen. Freiwasserschwimmer schwimmen "in Flüssen und in Dreckslöchern", sagt Stefan Lurz, der keine Ausreden duldet. So gibt es auch Freiwasserschwimmer, die sich von Feuerquallen nicht weiter beeindrucken lassen.
Möglicherweise hatte der Kommentator einer Meldung der französischen Zeitung Liberation solche unerschrockene Quäl-Afficionados im Sinn, als er sich über Pariser Touristen mokierte, die sich angesichts der neuartigen Bedrohung an der atlantischen Küste, "nicht mehr einkriegen" werden und dort keinen Fuß mehr ins Meer setzen wollen. Das einst so schwimmerfreundliche Becken von Arcachon wird nämlich seit einigen Tagen von einer echten Plage heimgesucht: der portugiesischen Galeere ( Physalia physalis).
Von Durchblickern der Gallertmasse wird man immer wieder darauf verwiesen, dass es sich bei der portugiesischen Galeere genau genommen nicht um eine Qualle handelt, sondern um einen ganzen Staat davon, eine Kolonie von einander abhängiger Polypen. Für denjenigen, der einem Exemplar der schönen Siphonophora im Wasser begegnet, zählt aber vor allem eins: den bis zu mehreren Meter langen Fäden ausweichen, was ein wahrscheinlich unmögliches Schwimmkunststück ist, da man die Fäden kaum sieht. Wie giftig sie sind - ungleich schlimmer als bei den im Mittelmeer vorkommenden Feuerquallen – zeigt, dass acht Opfer der "Staatsquallen-Galeeren" an der franzöischen Atlantikküste ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Weswegen heute auch Le Monde eindringlich vor dem Schwimmen im Becken von Arcachon warnt.
Schon vor einiger Zeit wurde berichtet, dass die portugiesische Galeere an den Küsten Englands und Nordspaniens gesichtet wurde. Warnungen vor Quallenplagen im Mittelmeer gehören seit einiger Zeit zu den notorischen Sommermeldungen wie Staumeldungen zu Ferienbeginn. Selbst wenn manche Wissenschaftler nicht von einer außerordentlichen Zunahme sprechen wollen, so erhöhen diese Nachrichten doch die Attraktivität einheimischer bakterienverseuchter Freibäder.
Ob die Quallenpest tatsächlich, wie häufig argumentiert wird, der Überfischung der Meere, also der Ausrottung der natürlichen Feinde der Quallen, bzw. der für die Quallen günstigen Erwärmung der Meere geschuldet ist, ist laut einem kürzlich erschienenen Bericht der Neuen Zürcher Zeitung, aber noch gar "nicht erforscht".