Thor: Die Faszination westlicher Gesellschaften fürs Primitive

Bild: © Marvel Studios

Der vierte Film um den Hammer-Superhelden ist manchmal fast zu unterhaltsam für Marvel-Fans.

Das Barbarische zieht uns hinan. Die Faszination westlicher Gesellschaften fürs Primitive nimmt zumindest in der Popkultur erkennbar zu. Erst vor wenigen Wochen kam der blutige Schlagetot-Metzelfilm "The Northman" in die deutschen Kinos. Jetzt nun die galaktischen Wikinger und Walküren von Marvel.

Der vierte der "Thor"-Filme des Marvel-Universums – und nach "Thor: Ragnarok" von 2017 der zweite unter der Regie des Neuseeländers Taika Waititi – schließt direkt an die Ereignisse von "Avengers: Endgame" an. Thor (Chris Hemsworth) – wieder in Form – verteidigt zusammen mit den Guardians of the Galaxy verschiedene Planeten, zwischen denen die weitere Geschichte von "Thor: Love and Thunder" hin- und herspringt. Er tut dies in der pessimistischen Überzeugung, dass seine Tage als echter Superheld gezählt sind, doch eine neue Bedrohung motiviert ihn dazu, sich wieder auf den Weg zu machen.

Was macht einen echten (Film-)Helden aus? Kampfeskraft und Tapferkeit gehören dazu ebenso wie Altruismus und Mut, die dazu führen, das eigene Leben im Namen eines größeren Gutes zu riskieren. Aber man kann auch zum Helden werden, indem man einen komplett anderen Weg wählt, der scheinbar frivoler und oberflächlicher ist. Er besteht darin, alles das, was wir waren, wozu wir erzogen wurden und was andere von uns erwarten, beiseite zu lassen, um unseren eigenen Neigungen zu folgen.

Thor 4: Love And Thunder (13 Bilder)

Bild: © Marvel Studios

Man kann wie Taugenichts bei Eichendorff ausziehen, um sich selbst zu entdecken, aber auch, um innezuhalten, um die Schönheit eines Sonnenuntergangs zu genießen oder eine Liebesbeziehung wieder aufzunehmen, die unwiederbringlich beendet schien, zumindest bis das Schicksal uns zum Handeln auffordert. Dies ist der Ausgangspunkt für den tatsächlich bereits 29. Film im ökonomischen Marvel Universum.

Regisseur Waititi kann das "Marvel Cinematic Universe" (MCU) aber offensichtlich nicht ganz ernst nehmen. So gibt es immer wieder ironische Seitenblicke auf Figuren und Handlungselemente. Und insgesamt mutet der Film an, als hätte Waititi Referenzen, Charaktere und Mythologie aus den Thor-Filmen der Marvel Studios entlehnt und sie dann aber in seiner ganz persönlichen und nicht übertragbaren Vision einer romantischen Komödie über die regenerative Kraft der Liebe verwendet.

Zu Beginn des Films werden aber ganz konventionell die Hauptfiguren eingeführt. Gorr (Christian Bale) verliert seine Tochter, was ihn von seinem Gott entfremdet und ihn zu einem Götterschlächter macht. Er war nicht böse, er wird aber zum Bösewicht des Films. Die dritte Figur ist die Rückkehr von Dr. Jane Foster. Die Ärztin hat Krebs im fortgeschrittenen Stadium mit geringen Überlebenschancen.

Schließlich erlebt man, wie Chris Hemsworth in der Hauptrolle des Thor wieder einmal seine Muskeln spielen lässt, doch bald kommt auch seine weiche Seite und die Liebe in Form seiner ehemaligen Flamme, der Astrophysikerin Dr. Jane Foster (Natalie Portman), zur Geltung. Es dauert auch nicht lange, da ist sie gleichfalls mit Superkräften ausgestattet und bald danach auch wieder mit dem nun ebenbürtigen Thor liiert.

Gemeinsam müssen die beiden, zusammen mit der aus Ragnarok zurückgekehrten, sehr coolen "Valkyrie" (Tessa Thompson) und der steinernen Kreatur Korg (von Waititi gesprochen), gegen den Götterschlächter Gorr antreten, der von Bale mit mephistophelisch-schmeichelnder Bösartigkeit und Konsequenz gespielt wird.

"Weltraum-Wikinger" in der Midlife-Crisis

Die Darstellung des "Weltraum-Wikingers" Thor passt zwar hervorragend zum Stil von Chris Hemsworth, aber diesmal übertreibt er das Augenzwinkern vielleicht ein wenig und bietet eher eine Parodie des mythischen Helden im Allgemeinen. Schon in "Thor: Ragnarok" hatte er mit der sozial unbeholfenen, hochnäsigen Seite des Charakters gespielt. Hier nun hat er eine ganze Weile mit einer Midlife-Crisis zu kämpfen und durchlebt die Trauer um verlorene Angehörige.

Der Star des Films ist Natalie Portman. Magisch und göttlich war Portman ("Leon der Profi", "Black Swan") ja schon immer. Diesmal tritt sie, die eigentlich dunkle Haare hat, mit nordisch blonder Löwinnenmähne auf. Sie wird zur "ebenbürtigen Superheldin", was dem Filme seine politische Korrektheit und progressive Würze gibt, die den skeptischen akademischen Filmbeobachtern gefallen.

Dr. Fosters Oberarme annähernd so dick wie Thors Hintern

"Gleichberechtigung der Geschlechter" heißt in Hollywood, dass Natalie Portman sich in zehnmonatigem Training Muskeln antrainiert, bis ihre Oberarme annähernd so dick sind wie Chris Hemsworth Hintern. Und dass sie weiß, wo Thors Hammer hängt, um ihn irgendwann auch zu schwingen.

Die im Raum stehende Liebeskonkurrenz zwischen den beiden Frauen lässt der Film, ebenso wie die gleichfalls im Raum stehende bisexuelle Liebesgeschichte, schnell fallen – es kommt weder zum Catfight noch zur Sexszene zwischen zwei Frauen; alles bleibt im grünen Disney-Bereich.

Bild: © Marvel Studios

Erneut entwirft der neuseeländische Filmemacher, diesmal auch als Co-Autor des Films, ein buntes, rasantes Abenteuer, das seine dramatisch-düstere Herkunft in den Seitenhandlungen versteckt und sich auf eine eher leichte, fast parodistische Komödie über Teamwork und die Suche nach dem Sinn des Lebens konzentriert.

Das passt zur Disney-Zielgruppe: Dies ist ein Märchen für die Jugend, sanft und dem Disney-Stil entsprechend nie ernsthaft gewalttätig, trotz der Kampfszenen mit unvermeidlichen Tötungen. Die Idee Screwball-Komödie und Gender-Trouble, den Krieg der Geschlechter und die Albernheiten der Identitätspolitik einzubauen, ist zwar modisch, hat aber Witz und Sinn.

Aber aus Russell Crowes "Zeus", einem griechischen Göttervater, den es bei Marvel in die nordische Mythologie verschlagen hat, so als würde Odysseus plötzlich bei den Nibelungen auftauchen, wird zu wenig gemacht. Er wird einfach nur als eitler Geck skizziert. Die Dialoge sind eher schwach, eine Montagesequenz zu ABBA-Musik wirkt seltsam deplatziert.

Im Ergebnis ist "Thor: Love and Thunder" damit ein souverän inszenierter, hochunterhaltsamer, oft lustiger und relativ erwachsener Film geworden. Diejenigen, aber die mehr als reine Unterhaltung wollen, die amerikanisches Pathos und Heldenernst wollen, oder für die das MCU eine Art Religionsersatz geworden ist, dürften mit dieser entschieden fröhlichen und respektlosen Superheldenvariation und ihrer weichgespülten, braven Moral ihre Probleme haben.

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