Russlands Kaukasus-Fiasko: Wie Putin alles verspielte

Ziemlich ehemalige Freunde: Putin und Alijev. Bild: miss.cabul / Shutterstock.com
Russlands Einfluss im Südkaukasus schwindet. Putin verliert Aserbaidschan als Partner. Die Beziehungen haben sich rapide verschlechtert. Was steckt hinter dem Zerwürfnis?
Noch vor einem Jahr erfreute sich Wladimir Putin, der auf internationaler Ebene nicht viele echte Partner hat, über die engen Beziehungen zum benachbarten Aserbaidschan. Im August 2024 besuchte Russlands Präsident, der aufgrund des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs sonst eher eingeschränkt reisen kann, seinen Kollegen Ilham Alijew in Baku und wurde von ihm herzlich empfangen.
"Dieser Besuch ist von historischer Bedeutung und wird einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren verbündeten Ländern leisten", sagte der aserbaidschanische Staatschef nach dem Treffen.
Aserbaidschan ist ein wichtiger Partner Russlands
Unter anderem einigten sich der staatliche aserbaidschanische Ölkonzern Socar und der russische Gasriese Gazprom auf den Ausbau ihrer vielfältigen strategischen Partnerschaft. Überhaupt sind sich die Autokratien in Russland und Aserbaidschan recht ähnlich: Putin regiert seit 2000, Alijew seit 2003; Alijews Vater war wie Putin beim KGB.
Gleichzeitig entwickelte sich Aserbaidschan vor dem Hintergrund der westlichen Versuche, Moskau zu isolieren, zu einem wichtigen Transportkorridor für Handelsgüter. Der Handelsumsatz zwischen den beiden Staaten stieg 2022 um 25 Prozent und 2023 um weitere 20 Prozent. Eines der vielversprechendsten Projekte ist dabei der Nord-Süd-Transportkorridor, der unter zusätzlicher Beteiligung des Iran gebaut wird. Ein einheitliches Eisenbahnnetz wird es Russland ermöglichen, Waren von der Ostsee bis zum Persischen Golf und weiter bis zum Indischen Ozean zu liefern.
Die Rivalität verschiedener Einflussmächte
Moskau beansprucht seit vielen Jahren auch eine Vermittlerrolle zur Erzielung eines Friedensabkommens zwischen Aserbaidschan und Armenien. Der Kreml reagiert hierbei empfindlich auf Versuche Washingtons oder Brüssels, ebenfalls eine Vermittlerfunktion zu übernehmen. "Die Amerikaner wollen auch hier unbedingt dominant sein.
Es ist ihnen wichtig, zu zeigen, dass sie die Herren sind. Wenn das unseren armenischen und aserbaidschanischen Freunden so passt, dann ist das wohl die Entscheidung der dortigen Staats- und Regierungschefs", empörte sich der russische Außenminister Lawrow im vergangenen Jahr anlässlich eines Treffens der Außenminister von Armenien und Aserbaidschan unter Beteiligung des damaligen US-Außenministers Anthony Blinken.
Aserbaidschan war viele Jahre darauf aus, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen dem Westen, Russland und der Türkei zu wahren. So unterzeichnete Baku im Jahr 2022 eine Erklärung über alliierte Beziehungen mit Moskau, die nahezu identisch war mit einer sechs Monate zuvor unterschriebenen Erklärung mit Ankara.
Verfinsterung seit Dezember
Doch innerhalb von nur sechs Monaten haben sich die russisch-aserbaidschanischen Beziehungen nun so stark verschlechtert, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Der Wendepunkt war die Tragödie mit einem aserbaidschanischen Passagierflugzeug auf der Strecke Baku–Grosny, das am 25. Dezember des vergangenen Jahres in Tschetschenien von einer russischen Rakete getroffen wurde und eine Notlandung in Aktau in Kasachstan machen musste. Dabei kamen 38 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben.
Aserbaidschan reagierte scharf und stellte drei Bedingungen an Russland: Erstens eine Entschuldigung, zweitens eine Entschädigung der Opfer und drittens die Bestrafung der Täter. Putin beschränkte sich jedoch darauf, sich bei Alijew dafür zu entschuldigen, dass sich der tragische Vorfall im russischen Luftraum ereignet habe.
Eine Entschädigung zahlte lediglich eine russische Versicherungsgesellschaft; der Staat leistete keine Wiedergutmachung und die Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Zur Entschädigung errichtete man in Moskau ein Denkmal für Alijews Vater und verlieh der aserbaidschanischen Parlamentspräsidentin einen Freundschaftsorden.
Damit war Baku jedoch keineswegs zufrieden und die Abkühlung der Beziehungen zu Moskau nahm ihren Lauf. Im Februar wurde das Russische Haus, das sich für die Förderung der russischen Kultur einsetzte, in der aserbaidschanischen Hauptstadt geschlossen.
Alijew sagte seine Teilnahme an der Parade zum 80. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg am 9. Mai, Putins wichtigstem Feiertag, im letzten Moment ab. Die aufgeladene Atmosphäre schien nur auf einen Grund zu warten, um zu explodieren. Diese erfolgte am 27. Juni, als in der Uralmetropole Jekaterinburg etwa 50 Aserbaidschaner festgenommen wurden, wobei zwei von ihnen durch Polizeigewalt starben.
Die aserbaidschanischen Behörden sagten daraufhin umgehend alle Kulturveranstaltungen im Land mit Bezug zu Russland ab. Ferner nahmen Kräfte des Innenministeriums zwei Mitarbeiter der staatlich-russischen Nachrichtenagentur Sputnik in Baku fest.
Ihnen wird vorgeworfen, für den russischen Geheimdienst FSB zu arbeiten. Zudem wurden elf Russen wegen des Verdachts auf Drogenschmuggel und -verkauf im Iran inhaftiert. Infolge der Ereignisse wurden die Botschafter wechselseitig einbestellt und Protestnoten übergeben. Ein Telefonat zwischen den Staatschefs Putin und Alijew, wie es noch im Dezember stattgefunden hatte, blieb aus, was auf eine tiefere Krise in den Beziehungen hindeutet als noch vor sechs Monaten.
Die Türkei baut ihren Einfluss zulasten Russlands aus
Diese gesamte Verschärfung erfolgte vor dem Hintergrund eines verstärkten türkischen Engagements bei der Beilegung des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan. So stattete der armenische Premier Paschinjan am 20. Juni der Türkei zum ersten Mal in der Geschichte einen Staatsbesuch ab.
Nach den Gesprächen mit Erdoğan wurde betont, dass ein dauerhafter Frieden zwischen Ankara und Jerewan nur erreicht werden könne, wenn es eine ähnliche Vereinbarung zwischen Aserbaidschan und Armenien gäbe. Nachdem Erdoğan sich Ende letzten Jahres am Sturz des Assad-Regimes in Syrien beteiligt hatte, hat er nun nichts dagegen, dasselbe im Südkaukasus zu tun.
Infolge des Ukrainekonflikts hat Moskau in der Region erheblich an Einfluss verloren. So erlangte Aserbaidschan bis Herbst 2023 mit stiller Unterstützung der Türkei die vollständige Kontrolle über die zuvor von Armeniern besiedelte und in den 1990er-Jahren besetzte Region Bergkarabach zurück. Im April 2024 führte dies zur erheblichen Reduzierung des russischen Friedenskontingents auf aserbaidschanischem Gebiet.
Jetzt könnte Russland auch seine militärische Präsenz in Armenien verlieren. Seit dem 1. März dieses Jahres wird die Grenzkontrolle an der armenisch-türkischen Grenze ausschließlich von armenischen Truppen durchgeführt, was zuvor russisches Hoheitsgebiet war. Armenien wendet sich derweil von Russland ab und dem Westen zu. Es intensivieren sich interne Diskussionen über die Anwesenheit einer russischen Militärbasis im Land.
Ein Punkt im Friedensvertragsentwurf zwischen Armenien und Aserbaidschan ist das Verbot der Stationierung fremder Truppen im eigenen Territorium. Im März erklärten beide Länder, dass sie sich vollständig auf einen Vertragstext geeinigt hätten.
Ein Hemmschuh bleibt dabei die negative Reaktion Moskaus, dem die Spannungen im Südkaukasus gar nicht so ungelegen kommen, da sie die Präsenz russischer Truppen in der Region rechtfertigen. Doch die Zeit dieser Spannungen scheint vorbei. Am Samstag sagte Erdoğan, der Frieden, den Armenien und Aserbaidschan schließen werden, werde das Klima in der Region verändern. Offensichtlich nicht zugunsten Russlands.