Polen: Goldzug vergoldet Stadt

Panzertriebwagen 16, ein Nazi-Panzerzug. Bild: Piotrus/CC-BY-SA-3.0
Über den "Werbewert" einer Nazigeschichte
Irgendwann im September oder vielleicht auch etwas später, Aufschiebungen gehören schließlich zum Geschäft, wird nahe der Stadt Walbrzych tief gebohrt und ein neues Kapitel geschrieben in der großen Story um den "Nazigoldzug", die Piotr Koper und Andreas Richter seit über einem Jahr so meisterhaft und so ertragreich erzählen.
Die Vorgeschichte: Im Frühjahr 1945 fuhr ein NS-Panzerzug bei Kilometer 65 auf der Strecke Breslau-Waldenburg in einen Tunnel, der darauf von der SS gesprengt wurde. Der Bergmann Tadeusz Slowikowski, heute 86 Jahre alt, hat in den 50er Jahren von einem deutschen Bergarbeiter davon in Walbrzych erfahren. So heißt die Stadt, die seit Kriegsende zu Polen gehört.
Die Story und etwas Wodka waren der Dank des Deutschen. Slowikowski hatte ihn vor Schlägen eines polnischen Kumpels bewahrt. Slowikowski fing an zu graben, doch sein Hund wurde vergiftet, es gab einen Einbruch. Darauf beschäftigte er sich vorsichtiger, aber weiterhin ausdauernd mit der Panzerzug-Geschichte. Irgendwann zeigt er anderen Walbrzychern die Stelle an den Gleisen, in der der Zug gefahren ist, auf einer Karte. Mit dabei war Piotr Kopek, ein Bauunternehmer, der die Gerätschaften hatte, die Geschichte plakativer weiter voran zu bringen.
Koper tat sich mit Andreas Richter zusammen, Sekretär der deutschen evangelischen Gemeinde der Stadt. Richter hatte sich durch Familienforschung in Auftrag ein Georadargerät besorgt, die die Illustration zur Panzerzug-Story liefert - eine Wölbung im Gestein ist der geheime Stollen. Dass der Zug mit Tonnen von Nazigold geladen ist, geraubt in Polen und der Sowjetunion, haben die beiden mittelalten Herren der Erzählung beigefügt.
Nun brauchte die Story noch einen Verleger oder besser mehrere, eine Beglaubigung sowie ein Schutz des Urheberrechts. Die Erzähler traten im August 2015 zuerst anonym an das Rathaus heran. Der hiesige Denkmalpfleger sprach von einer "99-prozentigen Sicherheit", dass der Zug an besagter Stelle zu finden sei. Kamerateams aus der ganzen Welt begaben sich darauf in die niederschlesische Stadt.
Mitte September gaben sich Koper und Richter als Urheber zu erkennen, zuvor hatten sie Tarife für "goldene Interviews" ausgehandelt. Ein amerikanisches Fernsehteam soll für ein Gespräch 100.000 Zloty (23.000 Euro) hingelegt haben, so die Zeitung Gazeta Wyborcza. Ein Betrag, der nicht viel geringer ist als die Kosten der Grabungen (150 000 Zloty) selbst, die die Schatzerzähler aus eigener Tasche finanziert haben. Und Interviews wurden viele erteilt. Wer nicht zahlen kann oder will, wie regionale Blätter, ist wie eine deutsche Pressevertreterin auf einen polnischen Journalisten angewiesen, der die Story aus zweiter Hand liefert.
Sollte der Zug tatsächlich ausgegraben werden, haben sich die beiden Autoren mit einer Provision von zehn Prozent abgesichert, so berichtet der Pressesprecher der Stadt. Doch als gierig wollen Koper und Richter nicht gelten, das stört das Image. Somit betonen sie stets das Gemeinwohl ihres Unternehmens und die Finanzierung der Grabungen aus eigener Tasche.
Von größerer Bedeutung für den Erzählfluss gilt, dass kein Experte Dokumente vorlegen kann, die die Eisenbahn unter Tage in das Reich der Fiktion verweisen. Bislang ließ sich nicht belegen, dass nicht doch ein Zug ausgegraben werden könnte.
Von den Kohleminen zum Goldschatz
Auch die Stadt lebt von dieser Geschichte, die eine andere, unbequeme abgelöst hat. Noch vor drei Jahren war es recht schwer, bei der Pressesprecherin des Rathauses einen Termin zu bekommen. Denn damals ging es für Journalisten vor allem um die "Armenschächte", um die Folgen der Kohlezechenschließung. Im Jahre 1998 gingen um die 15.000 Arbeitsplätze verloren, viele buddelten und buddeln heute noch nach der Kohle in improvisierten Schächten. Vergeblich versuchte die Stadt damals auf andere Events wie etwa auf ein Langlaufwettbewerb aufmerksam zu machen.
Nun macht die Stadt in Gold. Das Rathaus vertreibt alle möglichen Andenken, es gibt ein Schatzsucherfestival, es werden nun viermal so viele Fremdenführer wie sonst beschäftigt. Auch Autowaschanlagen, Restaurants, Hotels, Discotheken, Brauereien, Wodkahersteller und viele mehr sind auf den fahrenden Goldzug aufgesprungen. Der Pressesprecher der Stadt erklärt, der Zug habe einen Werbe-Wert von einer halben Milliarde Zloty (etwa 120 Millionen Euro) für die Stadt, ohne das genauer zu definieren.
Besonders umtriebig ist der Unternehmer Dariusz Domagala. Er hat die Kunde vom Goldzug mittels seines Regionalfernsehens erstmals verbreitet. Er besitzt die meisten Produkte in Verbindung mit der Geschichte und lässt gerade den Ausdruck "Goldzug" als Namen schützen.
Auch Koper und Richter vertreiben über ihre Firma xyz "goldene" Zigarettenetuis und Feuerzeuge. Doch das Hauptgeschäft bleibt das Aufrechterhalten der Spannung. Über das ganze Jahr verkündeten die beiden Grabungstermine, die dann wieder verschoben werden mussten, organisierten Happenings, bei denen Gläubige der Story mittels Plakate die Grabung einforderten.
Mitte August war es dann soweit. Zwei Löcher wurden gegraben, sechs Meter tief, teure Interviews vorher ausgehandelt, doch ohne eine Spur von einem Wagon. Die Wölbung auf dem Georadarbild erklärte der Bauleiter ernüchternd mit einer Gletscherverwerfung. Nun soll mittels seismographischer Geräte der Zug ermittelt und weit tiefer gebohrt werden.
Die Geschichte muss weiter erzählt werden. Konkurrenz könnte noch das Bernsteinzimmer machen, das Gerüchten zufolge in dem Schachtsystem "Riese" bei Walbrzych verborgen sein soll.