Moskaus Masterplan: Wie der Kreml die Nato in Schach halten will

Militärischer Satellit schießt auf die Erde

Bild: Frame Stock Footage/ Shutterstock.com

Russland plant eine radikale Verschärfung seiner Militärstrategie. Der Kreml will die Nato durch nukleare Abschreckung in Schach halten. Was ein Papier aus Moskau enthüllt. (Teil 2)

Das vorliegende Dokument, von dem Telepolis in Kooperation mit dem Potsdamer Welttrends-Verlag erstmals wesentliche Teile in deutscher Übersetzung veröffentlicht, bietet einen tiefen Einblick in die aktuelle russische Nukleardoktrin und ihre sicherheitspolitischen Implikationen. Das Papier verdeutlicht die Radikalisierung der russischen Haltung und die wachsenden Gefahren eines atomaren Schlagabtauschs. Dieses exklusive Werk, das auf einer breiten russischen Expertenanalyse basiert, sollte Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit sensibilisieren und zur Abrüstungsdebatte beitragen. Die Vollversion ist bei unserem Kooperationspartner, dem Welttrends-Verlag, erhältlich.

Im ersten Teil wurde der Ukraine-Krieg aus russischer Sicht als indirekter Konflikt mit dem Westen eingeordnet und die nukleare Abschreckung kritisch beleuchtet. Hier nun der zweite Teil.


Überdenken: Den früheren „friedlichen“ Ansatz der strategischen Abschreckung/Zügelung und die Gewohnheit ablegen, hauptsächlich auf die Schritte des Gegners zu reagieren;

Neu beleben: Die Strategie der nuklearen Einschüchterung des kollektiven Westens, die Eskalationsstrategie des Gegners zu durchbrechen und dessen Versuche zu vereiteln, Russland an der Verwirklichung seiner Ziele in der SMO zu hindern;

Eng konsultieren: Mit den internationalen Partnern Russlands aus den Ländern der Weltmehrheit (insbesondere mit den Mitgliedern der SCO und der BRICS) über die Zukunftsperspektiven des Ukraine-Konflikts und deren Vorbereitung auf den möglichen Einsatz von Nuklearwaffen durch Russland. Wenn sich unsere Partner an diesen Gedanken gewöhnen, wird dies ernsthaft die Wirksamkeit der nuklearen Einschüchterung stärken. Engere Kommunikation mit den chinesischen, indischen und pakistanischen Partnern, auch informell, über ein breites Spektrum militärischer und politischer Fragen.

Entgegensetzen: Dem westlichen Modell der Eskalation des Ukraine-Konflikts eine allseitig ausgearbeitete russländische Eskalationsstrategie und eine Formel für Frieden und Sicherheit in ganz Eurasien, einschließlich seiner europäischen Region. Die Spezielle Militärische Operation [SMO] durch eine spezielle diplomatische Operation zu ergänzen.

Warnen: Darüber, dass die Russische Föderation im Falle der Entsendung von Kontingenten regulärer Streitkräfte der Nato-Länder in die Ukraine die Entsendestaaten als Parteien eines bewaffneten Konflikts ansieht und deren Militärkontingente und deren Hoheitsgebiet als vorrangige Ziele für die Führung von Schlägen betrachten wird.

Präzisieren: Die Bedingungen für den Einsatz von Kernwaffen durch die Erweiterung der Liste solcher Bedingungen und dadurch ein Senken der doktrinären Schwelle für den Kernwaffeneinsatz. Die radikale Modernisierung der überholten, aber bereits ‘fahrlässigen’ Nukleardoktrin beschleunigen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmung wird hier ein externer Podcast (Podigee GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Podigee GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Erwägen: den Ausstieg aus dem Vertrag über das Verbot von Kernwaffentests in drei Sphären [Domänen] und aus dem Moratorium für unterirdische Kernwaffentests.
Einrichten – einer Flugverbotszone für ausländische unbemannte Luftfahrzeuge im neutralen Luftraum über dem Schwarzen Meer, außerhalb der Hoheitsgewässer der Schwarzmeer-Anrainerstaaten.

Vorbereiten: Den Start von Systemen in den Weltraum, die in der Lage sind, US-amerikanische Aufklärungssatelliten auszuschalten.

Warnen: Die Nato-Länder, dass Versuche ihrerseits zur Durchführung einer Seeblockade des Kaliningrader Gebiets oder von St. Petersburg beantwortet werden mit russländischen Schlägen auf die an solchen Versuchen beteiligten Länder unter Einsatz aller erforderlichen Bewaffnungsarten.

Durchführung von Militärübungen, deren Szenarien in Übereinstimmung mit den erklärten Doktrin-Änderungen Nuklearschläge gegen bestimmte Nato-Länder vorsehen;

  • Durchführung von unterirdischen Nukleartests;
  • Erprobung von Systemen zur Deaktivierung von Satelliten im Weltraum;
  • Eröffnung der „Jagd“ auf Nato-Drohnen über dem Schwarzen Meer;
  • Regelmäßige Patrouillen der russländischen Luft-/Weltraumstreitkräfte und Marine vor den Küsten der USA [Vereinigten Staaten] und ihrer Verbündeten;
  • Vernichtung von Nato-Drohnen über dem Schwarzen Meer;
  • Deaktivierung von Aufklärungssatelliten der USA [Vereinigten Staaten] und der Nato-Länder;
  • Führung von Schlägen auf westliche Truppenkontingente, die in die Ukraine einmarschieren;
  • Führung von Schlägen auf Nato-Flugplätze (z. B. in Rumänien und Polen) – falls Flugzeuge der ukrainische Luftwaffe dort stationiert sind – zunächst mit nicht-nuklearer Munition;
  • Führung von Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur in Europa und Nordamerika;
  • Vernichten von Elementen der logistischen Infrastruktur der Nato-Länder (einschließlich Unterseekabel usw.);
  • Führung von Schlägen mit nicht-nuklearen Mitteln auf die Nachschubknotenpunkte der SKU für westliche Waffen, die sich auf dem Territorium der Nato-Länder befinden;
  • Vorwarnung über die Bereitschaft und Entschlossenheit der RF, Schläge auf strategische Objekte der USA [Vereinigten Staaten] zu führen, zunächst im Ausland, beginnend mit US-Militärstützpunkten;
  • Abgabe eines letzten Warnsignals: Auslösung einer Test-Erd-Detonation mit einer ultragroßen Nukleargefechtsladung (mehr als 50 Megatonnen);
  • Führung von massierten nicht-nuklearen Schlägen auf Ziele in Ländern Europas, die das Kiewer Regime unterstützen, mit der Warnung, dass im Falle weiterer Schläge auf das Territorium Russlands oder gegen die russländischen Streitkräfte unsere Antwort nuklear sein wird – auf Militärbasen, Verkehrsknotenpunkte und Führungszentren in europäischen Ländern.

Das Überschreiten der nuklearen Schwelle mittels Führung von Kernwaffenschlägen auf Ziele auf dem Hoheitsgebiet von Nato-Ländern wäre somit das absolut letzte Mittel.

Der Gegner muss öffentlich darüber informiert werden, dass im Falle fortgesetzter Angriffe auf unser Territorium und/oder auf unsere Streitkräfte eine zweite und dann eine dritte Welle von Nuklearschlägen folgen wird. Die dritte Welle wird sich gegen US-Basen in Europa und darüber hinaus richten.

All diesen und anderen erzwungenen Schritten unsererseits müssen entsprechende Änderungen in der Militärdoktrin der Russischen Föderation vorausgehen.

Im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen Änderungen der Doktrin muss Russland die Produktion der entsprechenden Bewaffnung steigern, die Gefechtsladungen tragen kann, einschließlich Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen (ru – РСМД).

Die USA [Vereinigten Staaten], die 2019 aus dem INF-Vertrag ausgetreten sind, produzieren bereits entsprechende Systeme, bringen sie zu Übungen nach Asien und beabsichtigen, sie künftig in Deutschland zu stationieren. Präsident W. Putin hat seinerseits bereits eine Erklärung über die Notwendigkeit abgegeben, die Produktion von Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen zu starten und diese im Weiteren bei Bedarf zu stationieren.

Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Führung Russlands in jeder Phase – parallel zu den oben genannten militärpolitischen, militärtechnischen und militärischen Maßnahmen – mit der Führung der USA in Kontakt bleibt, um Washington Signale für die Ernsthaftigkeit der Absichten Moskaus und gleichzeitig die Bereitschaft zu vermitteln, den Konflikt zu für Russland günstigen Bedingungen zu beenden. Episodische Kontakte finden auf der Ebene der Verteidigungsminister und der Geheimdienstchefs der beiden Länder statt. Orte ständiger russländisch-amerikanischer Kontakte könnten z. B. die im Rahmen der Verträge zur strategischen Rüstungsreduzierung eingerichteten Zentren zur Verringerung nuklearer Risiken sein.

Im Bereich der strategischen Kommunikation mit dem Gegner ist auf größtmögliche Abstimmung in unseren Aktionen und Erklärungen zu achten. Chaotische und in mehrere Richtungen auseinanderlaufende öffentliche Erklärungen vermitteln dem Gegner den Eindruck, dass wir intern unkoordiniert sind, und können ihn eher provozieren als zügeln.

Öffentliche Drohungen, denen keine konkreten Schritte folgen, sind besonders schädlich: Der Gegner nimmt unsere Warnungen nicht mehr ernst. Es ist wichtig, ein klares System an Signalen, gerichtet an den Gegner, zu entwickeln und umzusetzen.

Dmitrij Witaljewitsch Trenin, Sergej Josefowitsch Awakjanz, Sergej Alexandrowitsch Karaganow
Dmitrij Witaljewitsch Trenin, Sergej Josefowitsch Awakjanz, Sergej Alexandrowitsch Karaganow

Die Autoren:

Dmitrij Witaljewitsch Trenin – Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Globale Militärökonomie und Strategie,Forschungsprofessor an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik, Nationale Forschungsuniversität Higher School of Economics, Mitglied des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik. Hauptautor des Berichts.

Sergej Josefowitsch Awakjanz – Admiral, Direktor des Instituts für Globale Militärökonomie und Strategie, Nationale Forschungsuniversität Higher School of Economics, Mitglied des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik.

Sergej Alexandrowitsch Karaganow – "Verdienter Professor", Wissenschaftlicher Leiter der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik, Nationale Forschungsuniversität Higher School of Economics, Ehrenvorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik. Leiter des Autorenkollektivs verantwortlicher Mitredakteur des Berichts.

Welttrends Cover

Der Artikel erscheint im Rahmen der Medienkooperation mit WeltTrends – Zeitschrift für Internationale Politik.