Ihr Innenministerium rät: "Kümmern Sie sich selbst um Ihre digitale Sicherheit"

Die Regierung will die IT-Sicherheit den Bürgern überhelfen. Bild: FrankMagdelyns1, Pixabay
Ministerium und BSI stellten Kampagne für IT-Sicherheit vor. Kritik an fehlender Strategie zum Schutz der Bürger ignorieren sie, Selbstlob überwiegt
Da will man als CSU-geführtes Ministerium "für Inneres und Heimat" zusammen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bei einer Online-Pressekonferenz bunte Bildchen und Videos zur neuesten IT-Sicherheitskampagne #EinfachaBSIchern vorstellen – und dann kommen Journalisten mit störenden Fragen. Doch der Reihe nach.
Auch Telepolis wollte die Kampagne am Montag kennenlernen, um sie der Leserschaft vorzustellen. Ziel der Bemühungen, so das BSI, sei es, "das Risikobewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher zu erhöhen und deren Fähigkeiten zu stärken, auftretende Probleme kompetent, langfristig wirkend und selbstbestimmt zu lösen". Denn schließlich gelte: "Besonders in der digitalen Welt mit ihren zahlreichen Möglichkeiten sollten Sie immer auf Ihre Sicherheit achten." Wer sollte dagegen etwas einzuwenden haben?
Auch gegen Eigenverantwortung hat niemand was. "Kümmern Sie sich mit unseren kostenlosen Tipps und Infos ganz einfach selbst um Ihre digitale Sicherheit", rät das Ministerium. So ganz kostenlos ist es dann aber doch nicht. Solche Erkenntnisse nebst Quiz, offensichtlich aus einem Büro von Marketingfachleuten, erhält man natürlich nicht zum Nulltarif.
Die Infos kosten die Steuerpflichtigen in den nächsten beiden Jahren 1,5 Millionen Euro. "Richtig viel Geld" sei das, freute sich BSI-Präsident Arne Schönbohm an der Seite des IT-Beauftragten der Bundesregierung oder Chief Information Officer (CIO), Markus Richter. Schließlich will man sich bei einem so wichtigen Thema auch finanziell nicht lumpen lassen.
Fachszene über Berufung Schönbohms verwundert
Betriebswirt Schönbohm übt sein Amt bei den beamteten Informatikern in Bonn bereits seit 2016 aus. Die Fachszene war schon damals über seine Berufung stark verwundert, weil die Vorgänger immer Leute aus der IT waren oder zumindest schon mal mit Naturwissenschaften wie Physik oder Mathematik zu tun hatten.
Als der damals neuberufene Spezialist von Bundestagsabgeordneten einmal gefragt wurde, ob er dem ihm vorstehenden Bundesinnenministerium (BMI), beispielsweise beim Thema "Backdoors" auch widersprechen dürfe, kam ein klares und entschiedenes Ja.
Aber man wartet bis heute darauf, dass das BSI dem BMI bei dessen "fehlender IT-Sicherheitsstrategie", so der Tech- Thinktank Stiftung neue Verantwortung, wenigstens einmal widerspricht. Diese Zurückhaltung dürfte im Ministerium geschätzt werden.
Dr. jur. Richter war 2017 für dessen Projekt "Asyl online" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sogar zum "europäischen CIO des Jahres" gewählt worden. Heute dient er, kein Wunder bei solchen Meriten, nicht mehr dem Bamf, sondern untersteht als Staatssekretär direkt dem dienstältesten Minister der Bundesregierung, Horst Seehofer (71, CSU).
Vermutlich hat er auch seinem aktuellen Dienstherrn noch nie widersprochen. Wohl deshalb ist er Anhänger des zwischenzeitlich schon berüchtigten Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum IT-Sicherheitsgesetz 2.0, das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet.
“Ausmaß der Realitätsverweigerung macht sturzbetroffen“
Wie es sich gehört, ging dieser Beratung bereits eine Anhörung von Experten voraus. Allerdings ließen diese Experten, darunter selbst der von der Union benannte Sachverständige, zum Erstaunen vieler Bundestagsabgeordneter kein gutes Haar am neuesten Projekt aus dem BMI. Auch hier wurde darüber berichtet.
"Wirtschaftsfeindlich, innovationsunfreundlich, nicht verfassungskonform", waren die wenig freundlichen Anmerkungen zum "IT-Unsicherheitsgesetz". Dies ficht aber einen Staatssekretär im Hause Seehofer nicht an. Solche unfreundlichen Formulierungen seien eine "Einzelmeinung".
Leider hatte Richter der Anhörung nicht beigewohnt. So übte er sich bei der Kampagnenvorstellung ungeniert im Selbstlob: Das Gesetz der Bundesregierung sei ein "Meilenstein, in dem die Sicherheit nochmal den aktuellen Bedrohungslagen angepasst wird".
Dem früheren Chefredakteur der Computer Zeitung, Peter Welchering, heute beim Deutschlandradio, war bei dieser Presse- Video-Konferenz die Fassungslosigkeit im Gesicht abzulesen. "Das Ausmaß der Realitätsverweigerung in dieser Bundesregierung macht mich sturzbetroffen", twitterte er kurz nach Ende der Pressekonferenz. Dabei waren vor deren raschem Abbruch noch nicht einmal alle Fragen gestellt, geschweige denn beantwortet worden.
Welche Fragen? Zum Beispiel die nach Staatstrojanern oder der gesetzlich beabsichtigten Weisung an das BSI, nur solche IT-Sicherheitslücken publik zu machen, mit deren Veröffentlichung die Sicherheitsbehörden von BKA bis Verfassungsschutz und BND auch einverstanden sind (§7b Abs. 3)?
So haben sich deutsche Normalbürgerinnen und -bürger ihre IT-Sicherheit und die "Sicherheitslücken", auf die sie bitte künftig selbst besser achten sollen, doch immer vorgestellt. Aber was heißt schon "Sicherheitslücke"? Dies sei ein falscher Begriff, beschied Präsident Schönbohm. Denn es ginge ja "nur" darum, "dass Qualitätsmängel eines Software-Herstellers ausgenutzt werden".
Der Gesetzentwurf genieße "hohe Anerkennung" befand Richter. Die Frage, wer denn diese "hohe Anerkennung" zolle, blieb auch auf mehrfache journalistische Nachfrage unbeantwortet. Vermutlich meint das BMI sich selbst und seine Sicherheitsbehörden.
Wer mag und ein gutes Nervenkostüm mitbringt, hat die Möglichkeit, die Veranstaltung vom 22.03. hier noch einmal anzusehen.
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