Fettleibigkeit: Wenn der Lebensstil schwerer wiegt als die Gene

(Bild: India Picture / Shutterstock.com)
Nicht Bewegungsmangel, sondern zu viele Kalorien und Stress lassen die Pfunde wachsen. Das zeigt ein Vergleich zwischen Industrieländern und anderen Gesellschaften.
Warum nehmen immer mehr Menschen in Industrieländern zu und werden übergewichtig oder fettleibig? Eine naheliegende Erklärung wäre: Weil sie sich zu wenig bewegen. Doch eine aktuelle Studie der Duke University in den USA kommt zu einem anderen Schluss: Der Hauptgrund ist, dass viele Menschen schlichtweg zu viele Kalorien zu sich nehmen.
Das Forscherteam um Amanda McGrosky wertete Daten von über 4.000 Menschen aus 34 Bevölkerungsgruppen auf sechs Kontinenten aus. Darunter waren Gruppen von Jägern und Sammlern, von Bauern dominierte Gesellschaften sowie Bewohner von Industrieländern. Die Forscher erfassten Körpergewicht, Körperfettanteil und den Energieverbrauch.
Kalorienaufnahme entscheidender als Energieverbrauch
Das Ergebnis: Eine erhöhte Kalorienaufnahme trägt etwa zehnmal stärker zu Übergewicht bei als ein verringerter Energieverbrauch durch Bewegung. Zwar zeigte sich, dass Menschen in Industrieländern im Schnitt einen höheren Body-Mass-Index (BMI) und mehr Körperfett haben. Aber gleichzeitig war auch ihr Energieverbrauch höher.
Der Grund dafür ist, dass sie im Durchschnitt größer und schwerer sind als Menschen in weniger entwickelten Regionen. Man kann sich das wie bei einem Auto vorstellen: Ein größeres, schwereres Fahrzeug verbraucht auch mehr Sprit. Genauso benötigt ein größerer, schwererer Körper mehr Energie, um sich zu bewegen und alle lebenswichtigen Funktionen aufrechtzuerhalten.
Berücksichtigt man diese Unterschiede in Körpergröße und -zusammensetzung, ist der Gesamtenergieverbrauch in Industrieländern sogar etwas niedriger. Der Energieverbrauch durch körperliche Aktivität unterscheidet sich dagegen kaum zwischen den Ländern.
Wenn also nicht Bewegungsmangel der Hauptgrund für die Übergewichtsepidemie ist, was dann? Die Forscher vermuten, dass vor allem ultraverarbeitete Lebensmittel eine Rolle spielen. Dazu zählen etwa Fertiggerichte, Wurst, Süßigkeiten und Softdrinks.
Diese Nahrungsmittel sind in Industrieländern weitverbreitet. Sie liefern viele Kalorien, machen aber nicht lange satt. So fördern sie das Überessen. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler einen klaren Zusammenhang: Je mehr ultraverarbeitete Lebensmittel in einer Bevölkerungsgruppe konsumiert wurden, desto höher war der durchschnittliche Körperfettanteil.
Auch Stress und Lebenskrisen machen dick
Doch die dominanten Ernährungsgewohnheiten sind nicht der einzige Faktor, der unser Gewicht beeinflusst. Auch Stress und einschneidende Lebensereignisse können eine Rolle spielen, wie eine andere Studie im Fachmagazin International Journal of Obesity zeigt.
Entgegen der landläufigen Meinung nehmen Menschen oft nicht allmählich und schleichend zu. Stattdessen erfolgt die Gewichtszunahme häufig in relativ kurzen Phasen, ausgelöst durch "Störungen" im Alltag. Das können wiederkehrende Anlässe wie Weihnachtsfeiern sein, aber auch Ereignisse wie eine neue Beziehung, Elternschaft oder ein Jobwechsel.
Solche Lebenskrisen können das Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und -verbrauch erheblich ins Wanken bringen. Dabei spielt Stress eine entscheidende Rolle. Erhöhte Cortisolspiegel, wie sie bei Stress auftreten, können den Stoffwechsel drosseln und Heißhunger auf Süßes auslösen. Was in Urzeiten sinnvoll war, um etwa vor Gefahren zu flüchten, begünstigt heute eine dauerhafte Gewichtszunahme.
Ein multifaktorielles Problem erfordert vielfältige Lösungen
Die Gründe für Übergewicht und Fettleibigkeit sind also vielfältig. Neben einer zu hohen Kalorienaufnahme, oft durch ultraverarbeitete Lebensmittel, spielen auch psychosoziale Faktoren wie Stress und Lebenskrisen eine wichtige Rolle. Hinzu kommen genetische Veranlagungen, Umwelteinflüsse und sozioökonomische Bedingungen.
Um der Adipositas-Epidemie wirksam zu begegnen, reicht es daher nicht aus, nur auf Ernährung und Bewegung zu schauen. Vielmehr braucht es ganzheitliche Ansätze, die auch die psychische Gesundheit und die Lebensbedingungen der Menschen in den Blick nehmen.
Das kann bedeuten, gesündere Lebensmittel erschwinglicher und verfügbarer zu machen, Stressbewältigung und psychische Widerstandsfähigkeit zu fördern, Bewegung im Alltag zu erleichtern und soziale Ungleichheiten abzubauen. Auch individuell zugeschnittene Ansätze, beispielsweise mithilfe neuer Technologien, könnten in Zukunft eine größere Rolle spielen.
Jeder Schritt zählt
Wer selbst etwas für seine Gesundheit tun möchte, muss nicht gleich eine Radikaldiät starten oder sich im Fitnessstudio anmelden. Schon kleine Veränderungen im Alltag können einen großen Unterschied machen.
Dazu gehört, mehr frische, vollwertige Lebensmittel zu essen, Fertigprodukte und Snacks zu reduzieren, auf ausreichend Schlaf und Erholung zu achten, Stress abzubauen und sich regelmäßig zu bewegen – sei es durch Spazierengehen, Radfahren oder Treppensteigen.
Auch wer bereits übergewichtig ist, kann durch einen aktiveren Lebensstil seine Gesundheit deutlich verbessern, auch wenn die Pfunde nicht sofort purzeln. Denn Studien zeigen: Fitte Fettleibige haben oft bessere Gesundheitswerte und eine höhere Lebenserwartung als schlanke Couch-Potatoes.
Letztlich geht es darum, langfristig gesündere Gewohnheiten zu entwickeln, statt kurzfristigen Idealen hinterherzujagen. Wer Schritt für Schritt positive Veränderungen in seinen Alltag integriert und dabei Rückschläge nicht als Versagen, sondern als Teil des Prozesses versteht, hat gute Chancen, sein Wohlfühlgewicht zu erreichen und zu halten. Und das ist viel mehr wert als jede Zahl auf der Waage.