Die Idee von Macht versus Ohnmacht

Barbara Kirchner: Die verbesserte Frau

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Barbara Kirchner ist eigentlich Wissenschaftlerin und arbeitet auf dem Gebiet der Car-Parinello-Simulationen. Manchmal allerdings schreibt sie alleine oder in Zusammenarbeit mit Dietmar Dath lustige Texte über Luminal-Stellarismus (eine Art sexueller Deviation, die ihre Lust aus dem Verkehr mit Sternen zieht, genaueres lässt sich in der aktuellen Sommerausgabe der Zeitschrift Spex nachlesen), oder feministische Science Fiction in diversen Popkultur-Zeitschriften wie der schon erwähnten Spex und De-Bug. Nun hat sie ihren ersten Roman geschrieben: "Die verbesserte Frau", einen Thriller zwischen Campus-Roman, Wissenschaftskritik und Frauenkrimi.

Umschlag-Grafik von "Die verbesserte Frau", Daniela Burger

Auf dem Cover des Romans sieht man drei Figuren, die wenig mehr als Umrisse sind. Sie sind durch Frisuren und Kleidungscodes als junge, flexible, trendige Frauen, die auch auf einer Frauenzeitschrift auftreten könnten, gekennzeichnet. Hüfte raus, Schultern zurück, lässig dem Betrachter das Spielbein entgegen gebracht, die Konstruktion als Objekt einer Verwertungslogik ist in diesen wenigen Elementen perfekt nachgestellt. Daniela Burgers Coverbild bringt das Thema des Romans auf den Punkt: Der weibliche Körper im Zeitalter seiner technischen Manipulierbarkeit.

In "Die verbesserte Frau" arbeiten Wissenschaftler eines privat finanzierten Forschungsinstitutes der fiktiven Universitätsstadt Borbruck daran, einen verbesserten Menschen herzustellen. Dabei sind sie skrupellos in der Beschaffung ihrer Testobjekte. Was für die Öffentlichkeit wie eine Serie von Entführungsfällen aussieht, ist in Wirklichkeit mehr, und viel erschreckender. Aber es geht in dem Roman von Barbara Kirchner auch und hauptsächlich um etwas anderes, nämlich um die Möglichkeiten des Widerstandes gegen die entfesselte kapitalistische Verwertungslogik, die gerade im Wissenschaftsbereich immer weiter um sich greift. Wenn Forschung zum Standortfaktor wird und ethische Fragen abhängig von den potentiellen Profiten behandelt werden, und sich auch die Politik diesen "Sachzwängen" beugt, hat der Einzelne schon längst jede Einflussmöglichkeit verloren.

Die gebrochene Heldin

So schickt Kirchner die einsame Heldin Bettina los, um die Bösewichter zur Strecke zu bringen. "Es war mir wichtig, eine Ebene von Frauen, die sich trauen, die ich in den Medien eigentlich unterrepräsentiert finde, einzuführen. Und zwar auf einer Ebene, wo glaubhaft eine mit Ängsten und Unsicherheiten geschilderte Frau abrechnet", sagt Barbara Kirchner im E-Mail-Interview. Dabei steht sie in der Tradition der gebrochenen Helden aus amerikanischen Action-Thrillern, die aus einer Außenseiterposition ausziehen, um die Bösen zur Strecke zu bringen, trotz der Einsicht um die Vergeblichkeit ihres Handelns - schließlich machen die Bösen einfach nur woanders weiter. "Das Buch ist im Ergebnis sehr cinematisch geworden, es wird sehr viel gehandelt, sehr viel beschrieben, geredet, ein Innenleben ist eigentlich immer nur da, wenn es um Entscheidungen geht, wenn es Übergänge gibt von der einen Handlungssituation zur anderen."

Hinter dem soliden Thriller-Plot, von dem nicht zu viel verraten werden soll, behandelt Kirchner Fragen von Macht und Ohnmacht, Widerstand und Komplizenschaft. Gerade die Entwicklungen in den Biowissenschaften greifen ganz zentral in unser aller Verständnis dessen, was der Mensch ist, ein. Da es für Nicht-Naturwissenschaftler keine Einflussmöglichkeiten gibt, birgt der Schauplatz privat-finanziertes Biotech-Labor eine gute Projektionsfläche für Ängste und Paranoia. Das wirklich Schlimme daran ist, dass diese Angst nicht unbegründet ist.

Die Frau als Produkt

Der Titel "Die verbesserte Frau" könnte einen auch an Superhelden im Sinne der Mutanten von den X-Men oder den Superhelden in den Comics der 50er und 60er Jahre denken lassen. Das wäre jedoch eine ziemlich altmodische Sichtweise. Es geht darum, einen Menschen zum perfekt funktionierenden Objekt umzumodeln. Dass man dabei an Frauen übt, ist im Sinne der Verkäuflichkeit des entstehenden Produktes nur folgerichtig (obwohl es natürlich auch ein paar Verwertungsmöglichkeiten für verbesserte Männer gäbe). Dabei stoßen die Wissenschaftler vom Guten Weißen Berg, wo ihr Institut sich befindet, auf überraschenden Widerstand - ihr Versuchskaninchen, das die ganze Zeit über lethargisch in der Ecke hockte, weigert sich scheinbar, mitzuspielen. Denn so einfach funktioniert das nicht mit der Objektivierung, meint Kirchner:

"Die Ironie ist die, dass das Projekt nicht funktioniert, OBWOHL die technische Seite klappt, ja sogar WEIL sie klappt. Deshalb muss die verbesserte Frau auch so blass bleiben: sie steht am Ende nur noch für die IDEE von Macht versus Ohnmacht selber. Das reine Objekt, das eben dadurch Subjekt wird. Sie kann nichts mehr machen, aber WIE sie das macht, zeigt, dass sie eben doch was machen kann. Es ging mir dabei also letztlich um Hoffnung: wenn ALLES Scheiße ist, hört das Scheißspiel genau in dem Moment auf, wo das wer merkt und danach (nicht) handelt."

Krimi vs. Science Fiction

Im Krimi findet Kirchner ein Genre, in dem traditionell Fragen von Gender, Gewalt und Macht verhandelt werden. Gerade in den Frauenkrimis der 80er und 90er Jahre werden die üblichen Rollenmuster dekonstruiert und neue und befreiende Handlungsalternativen vorgestellt, auch wenn es um die Formen von Sexualität und Zusammenleben geht. "Liebe und Sexualität gehören zu einem guten Buch, gar nicht so sehr im Sinne von Identitätspolitik, sondern im Sinne von Leidenschaft. Wenn es nicht kickt, kann man es auch gleich lassen. Ein Buch, in dem keine Liebe vorkommt, ist ein Buch, das man nicht lieben kann. Dass es um andere als die im Katalog verzeichneten Heterosexualitäten geht, bedeutet einfach, dass Romane davon handeln, wie die Welt sein könnte und sein sollte statt davon, wie sie ist." Dabei entfernt sich der Krimi im Allgemeinen und "Die verbesserte Frau" im Besonderen nie so weit von der wirklichen Welt, als dass diese nicht immer wiedererkennbar bliebe. Daher ist "Die verbesserte Frau" auch kein reiner Science-Fiction-Roman geworden, obwohl da und dort natürlich spekulative Elemente verwendet werden.

Zusammenhänge

Aber Bücher und Texte entstehen nicht im luftleeren Raum. Es sind immer Zusammenhänge von Leuten, innerhalb derer sich dann fertige Produkte wie dieses vor der Leserin liegende Buch materialisieren (siehe auch die umfangreiche Danksagungsliste am Ende des Buches). Barbara Kirchner arbeitet schon länger mit Dietmar Dath, selbst Autor und Romancier, zusammen: "Einiges aus dem Buch wie zum Beispiel Borbruck habe ich von Dietmar übernommen. Das ist ein Spiel, dass es fiktive Welten zwischen uns gibt, die dann immer mehr an Eigenständigkeit gewinnen und einen irgendwann benützen, statt umgekehrt. Das neueste Projekt ist die Gruppe Pfadintegral (dazu gibt es bald eine Website). In Dietmars letztem Buch Phonon war das der Name einer politischen Gruppe, die für eine fiktive Linke der fiktiven sechziger Jahre im fiktiven Deutschland des Buches steht. Gleichzeitig 'gibt' es die Gruppe seit dem Jungle-World-Artikel von Dietmar. Ich selbst habe mich in einem Autorinnenselbstporträt in der Spex als Mitglied der Gruppe dargestellt."

Vielleicht schließt sich hier der Kreis zu Barbara Kirchners Arbeit als theoretische Chemikerin. Immerhin ist die Spekulation und das Entwerfen von Versuchsanordnungen auch eine Methode der Naturwissenschaften, nur dass sie in der Literatur auf mögliche Welten angewendet wird und nicht auf die Erkenntnis (oder Konstruktion) dieser einen, in der wir leben. Letztendlich ist der Unterschied zwischen Fiktion und Realität doch nicht so groß, wie man meint, nur haben in der Letzteren die Folgen des Handelns einen wesentlich größeren Einfluss auf das Leben anderer Menschen. Viel Hoffnung macht einem "Die verbesserte Frau" dabei nicht, dass die Wirklichkeit besser endet als der Roman.

Barbara Kirchner: Die verbesserte Frau. Berlin (Verbrecher Verlag) 2001, 28 DM