Belarus: Lukaschenkos geheimer Tanz mit Washington

Belarus kontrolliert ein Fünftel des weltweiten Kalimarkts
(Bild: Tricky_Shark/Shutterstock.com)
Ein hochrangiger US-Diplomat traf sich heimlich mit Lukaschenko. Der Diktator zeigt sich gesprächsbereit und offen für Zugeständnisse. Welches Kalkül steckt dahinter?
Es klingt wie eine Räuberpistole: In geheimer Mission fliegt ein hochrangiger US-Politiker zu einer geheimen Unterkunft des belarussischen Geheimdienstes in Grenznähe, um sich dort heimlich und zu ersten Konsultationen mit keinem Geringeren als dem unumschränkt herrschenden Präsidenten Alexander Lukaschenko zu treffen.
Nach dem 24. Februar 2022 und der aktuellen weltpolitischen Gemengelage klingt das absurd. Und doch scheint die Geschichte einen wahren Kern zu haben: Wie die New York Times aus gut informierten Kreisen der litauischen Diplomatie erfahren haben will, soll sich genau dies um den 15. Februar 2025 zugetragen haben.
Keine 72 Stunden nach der Veröffentlichung der Meldung saßen Russland und die USA am saudischen Katzentisch.
Neues vom Werte-Westen
Es ist zu prüfen, ob das Treffen überhaupt stattgefunden hat. Dies gilt zumindest als wahrscheinlich, da der US-Diplomat Smith im Nachhinein eine (positive) Einschätzung über den Geistes- und Gesundheitszustand Lukaschenkos abgab.
Die litauischen Quellen könnten aus mehreren Gründen vertrauenswürdig sein: Litauen gilt spätestens seit 2022 als antirussischer Frontstaat, die Bundeswehr baut dort die "Brigade Litauen" mit bis zu 5000 Soldaten auf.
Die Entwicklung des ehemaligen sowjetischen Teilstaates war geprägt von einer wütenden antisowjetischen und antirussischen Ideologie, auf deren Höhepunkt jeder fünfte Litauer nicht einmal mehr neben seinem ethnischen russischen Nachbarn leben wollte.
Im Gegensatz zum amerikanischen Tauwetter in Richtung Moskau gehen die baltischen Staaten auf Kriegskurs: rhetorisch mit der estnischen Hardlinerin Kaja Kallas als EU-Außenkommissarin, militärisch mit der geplanten litauischen Verminung der Brücken nach Kaliningrad, dem Bau von Panzersperren und der Errichtung einer "Baltischen Verteidigungslinie".
Die politischen Eliten in Litauen dürften es durchaus für opportun halten, gezielt Botschaften gegen eine amerikanisch-belorussische Aussöhnung auszusenden oder gar versucht sein, mit diesem Akt ein direktes Treffen zwischen Trump und Putin mit Störfeuer zu versehen.
Letztlich spricht aus den baltischen Nachrichten der gleiche Zungenschlag wie in der gesamten, ihren hehren Werten verpflichteten EU.
Vor allem in Deutschland dämmert es den politisch Verantwortlichen, dass die europäische Gemeinschaft die Ukraine aufrüsten muss. Bald-Kanzler Merz sprach sich für Taurus-Lieferungen und ein stärkeres Engagement aus. Aus dem mageren 16. Platz der ukrainischen Geber soll eine Pole-Position werden.
Vertiefung und Kalkül
Zur Erinnerung: Vor der nordkoreanischen Beteiligung stand Belarus alleinig militärisch fest an der Seite Russlands. Bekanntlich unterzeichneten beide Seiten noch im Jahr 2024 einen weitreichenden Vertrag.
Dieser sieht vor, dass beide Staaten im Rahmen eines "Unionsstaates" eng zusammenarbeiten und die jeweiligen "Potenziale" des anderen nutzen können. Heißt in der Praxis: Russland nutzt Weißrussland als militärisches Aufmarschgebiet, dessen Infrastruktur und Ressourcen.
Was dem Kreml in anderen Teilen der Welt, etwa in Syrien oder im Kaukasus, streitig gemacht werden konnte, stand in Belarus nicht zur Debatte: Russland ist der Schutzpatron der strengen Lukaschenko-Herrschaft. Erst kürzlich ist Belarus dem "Anti-USA-Club" (Handelsblatt), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, beigetreten.
Militärisch bedeutsamer ist hingegen die Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), der neben Russland und Weißrussland weitere Staaten angehören.
Belarus befindet sich sozusagen seit Jahren in der Gesellschaft der von der EU "Sanktionierten". Hinzu kamen die Schließung seiner Grenze nach Kiew und seine Flüchtlingscharaden an den EU-Außengrenzen als politisches Druckmittel.
Wahlen ohne Gegner
Ende Januar wurde in Minsk gewählt. Interessant war, dass Lukaschenko noch kurz vor der Wahl in Richtung Donald Trump austeilte. Europa solle sich vom "US-Flugzeugträger abkoppeln", Frieden mit Russland war der Appell des seit drei Jahrzehnten regierenden.
Lukaschenko erhielt 87 Prozent der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 85 Prozent. Das Problem: Es gab keinen ernstzunehmenden Gegenkandidaten, der Sieg war ihm sicher. Platz zwei ging an den Mann der Kommunistischen Partei, Syrankow, mit mageren drei Prozent. Die KPB hatte zuvor keine Opposition zum generellen Kurs Lukaschenkos signalisiert.
Im Westen gilt Weißrussland als letzte Diktatur Europas, Menschenrechtsorganisationen kritisieren Repressalien gegen Journalisten, Aktivisten und Demokratiebewegte.
Neben der geopolitischen Opposition gegen die westliche Aufrüstung gegen Russland kommt in Belarus eine weitere Komponente zum Tragen: Schutz einheimischer Produkte, staatliche Intervention in kritischen Bereichen, staatlicher Besitz an Betrieben aber wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland.
100 Prozent Energieabhängigkeit, 40 Prozent Export- und 55 Prozent Importquote, immense Auslandsverschuldung in Richtung Moskau, verstärkter russischer Kapitalexport (55 Prozent FDI-Quote) sowie verstärkte Abhängigkeit in der Logistik, da der Weg nach Westen versperrt ist.
Vize-Außenminister in geheimer Mission
Christopher W. Smith hat sich am Ende selbst verraten. Am Tag nach seinem angeblichen Abstecher nach Belarus, immerhin der erste Kontakt beider Seiten seit einem halben Jahrzehnt, dozierte er in Vilnius vor erstaunten litauischen Diplomaten über die Initiative.
Nach ersten Informationen soll es sich im Kern um einen sich anbahnenden Kuhhandel gehandelt haben. Smith soll Lukaschenko eine Lockerung der Sanktionen (insbesondere gegen Banken und Kaliexporte des Landes, Belarus kontrolliert ein Fünftel des Weltkalimarktes) gegen freie Hand für die belorussische "Opposition" versprochen haben.
Erste Taten folgten: Seit Juni 2024 hat der wiedergewählte Präsident bereits mehr als 250 Personen begnadigt. Insgesamt sind in Belarus nach umstrittenen Kriterien mehr als 1200 politische Gefangene inhaftiert.
Regime-Change-Versuch oder China-Fokus-Notwendigkeit?
Interessanterweise soll Lukaschenko Interesse an einer solchen Wende gezeigt haben.
Möglicherweise geht es Lukaschenko um den Machterhalt und die Erweiterung seines Handlungsspielraums gegenüber Russland.
Eine solche Schaukelstuhlpolitik, die in den letzten zwei Jahren merklich nachgelassen hat, war zuvor 20 Jahre lang fester Bestandteil und ist in Kasachstan oder anderen russlandnahen Staaten zu beobachten.
Wirtschaftlich könnten Annäherungen an Beijing, die EU und die USA folgen. Das Land braucht Innovation und Investitionen, Lukaschenko Aufschwung statt Repression, um eine neue sozialpolitische Protestwelle im Keim zu ersticken.
Da die große Welle des, aus Minsker Sicht, versuchten Regimewechsels gebannt scheint, sind die rechtlichen Lockerungen ein denkbar kleines Opfer. Das US-Angebot öffnet neue wirtschaftliche Türen und beendet eine zunehmende Einseitigkeit.
Die andere Seite der Medaille: Die USA dürften vor allem einen Keil in das Moskau-Minsk-Bündnis treiben wollen. Russland soll nicht zu stark werden, allenfalls als Regionalmacht geduldet werden. Denkbar ist aber auch, dass man Lukaschenko unter dem Deckmantel der Sicherheit Zugeständnisse abringen will, um im nächsten Moment mit einer bunten Demokratiebewegung einen neuen Maidan in Minsk auf den Weg zu bringen.
Eine westlich geprägte Landschaft wäre für Moskau ein militärstrategischer Albtraum.
Derzeit scheint der erste Fall realistischer: Die Trump-Administration zieht sich sukzessive aus Europa zurück, Frieden mit Russland und seinen "Satelliten" scheint angesichts der chinesischen Herausforderung als strategisches Mantra angezeigt.
Neben China kann der US-Imperialismus keine zweite Herausforderung gebrauchen: Wie das US-Institut ISW vermutet, stellt Russlands "stille Eroberung von Belarus" eine weitere strategische Herausforderung für die Nato dar.
Ein Bericht der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) mit dem Titel "Demokratieförderung zwischen Annäherung und Sanktionen"gibt Anlass zur Sorge: bereits 2011 wird der US-Politik empfohlen, die harte Sanktionsmaschinerie abzustellen, da diese die inneren Beziehungen vergifte und diplomatische Druckkulissen erschwere.
Man muss genau beobachten, in welche Richtung sich die US-Avancen ausschlagen werden.