Afghanistan: Weitere große Fälle von Wahlmanipulationen
Polizisten wird vorgeworfen, dass sie zehntausende Stimmzettel für den amtierenden Präsidenten ausgefüllt haben
Die von der UN für die afghanischen Wahlen eingesetzte Beschwerdekommission zählt mittlerweile 2.615 Berichte über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. In den US-Medien ist augenblicklich beinahe täglich ein Bericht über besonders eklatante Manipulationen zu finden. So berichtet die New York Times heute von einem Stamm namens Bariz, der entschieden hatte, geschlossen für den Gegenkandidaten Karsais, Abdullah, zu stimmen, weil man mit der Regierung Karsai sehr unzufrieden war: "Es gibt keine Krankenhäuser, keine Schulen, keine Straßen, keine Dämme - nichts."
Doch wurden die Stammesmitglieder mit Gewalt von der Stimmabgabe abgehalten, berichtet einer der Stammesoberen, der so heißt wie der Stamm: Bariz. Der Mann, Gouverneur des Distrikt Shorabak, ist die Hauptquelle des Artikels. Nach seinen Ausführungen, die der bekannte New York Times Reporter Dexter Filkins als glaubwürdig einstuft, wurde er von Helfern des Bruders des Präsidenten, Ahmed Wali Karsai, festgenommen. Sämtliche 45 Wahllokale im Distrikt blieben geschlossen, stattdessen wurden die Urnen im Regierungsgebäude von Shoborak von lokalen Polizeikräften mit Stimmzetteln gefüllt, die allesamt für Karsai zählten: angeblich 23.900. Sein Bruder Ahmed Wali, dem immer wieder Verwicklungen im Drogengeschäft nachgesagt werden, gilt laut New York Times als mächtiger Mann im Süden, "The King of the South", der bei den wichtigsten Entscheidungen in Kandahar immer ein Wörtchen mitzureden habe.
Nach knapp der Hälfte der ausgezählten Stimmen liegt der große Bruder von Ahmad Wali mit rund 47 Prozent der Stimmen weit vor seinem Rivalen Abdullah. Da jetzt erst die Stimmen aus dem Süden gezählt werden sollen (im Norden hat eigentlich Abdullah seine Anhänger, im Süden Karsai) - so die Informationen des Independent stimmen - dürfte dem Wahlsieg Karsais nichts mehr im Wege stehen, vermutlich auch keine zweite Runde. Karsais Stimmenanteil wächst stetig und es wäre ein große Überraschung, wenn er die 50 Prozent Hürde nicht schafft.
Worauf Dexter in der New York Times hinweist , bestätigt auch der Bericht des Independent: Die Manipulationsvorwürfe wie im oben genannten Fall sind kaum zu verifizieren. Wie schon die britische Times reklamiert, so brüstet sich auch der Independent damit, dass seine Mitarbeiter selbst Zeugen eines Wahklbetrugmanövers waren. Die Aussichten, dass solche Zeugenaussagen, selbst in eklatanten Fällen, wesentliches am Wahlergebnis ändern werden, ist allerdings gleich null. Für die Helfer gebe es nur harmlose Strafen und auch wenn man die manipulierten Stimmen wegrechne, würde Karsai gewinnen, berichtet die britischen Zeitung, die ihrem Artikel voranstellt, dass die Preise für die Kalashnikov in Afghanistan stark gestiegen sind. Anzeichen für größere Nachfrage und größere Unruhe, so der Independent.
Man darf darauf gespannt sein, wie sich die USA gegenüber dem Wahlsieger Karsai verhalten werden. Schon lange ist deutlich, dass man mit dessen Regierungsführung nicht einverstanden ist. Eine Auseinandersetzung zwischen Karsai und dem amerikanischen Sonderbeauftragten für Afghanistan, Holbrooke, über Wahlen und Betrugsvorwürfe soll sehr laut ausgefallen sein. Da die US-Medien täglich über Wahlmanipulationen schreiben, kann Washington darüber auch schlecht hinwegsehen (ebensowenig wie zuvor schon darüber, dass sich Karsai zunehmend mit Warlords à la Dostum eingelassen hat - die ihm im übrigen die Stimmengewinne im Norden zugeschanzt haben dürften) Eine zweite Runde, wie Holbrooke vorgeschlagen haben soll, kann die amerikanische Regierung aus mehreren Gründen schlecht "ordern". Derartige Einmischungen sind heikel, zumal sie möglicherweise die Paschtunen vor den Kopf stoßen.
Anderseits fehlt einer Wahl, die mit einer derartigen Fälschungs-Farce für beständige Schlagzeilen sorgt, alle Legitimität, die man sich von ihr erwünscht hat. Mit einer solch beschädigten Regierung hat der Westen viel von dem verloren, was er sich an förderungswürdiger Demokratie die letzten vier Jahre noch zugute hielt.