The Great American Divorce: Driften die USA auseinander?

Leon Gerleit

Bild: 0fjd125gk87 auf Pixabay

Während die US-Regierung vor allem Geld und Mühe in ihre Außenpolitik investiert, nehmen die innenpolitischen Konflikte zu. Wieso der Zusammenhalt der Bundesstaaten zunehmend in Gefahr gerät.

Die US-Zwischenwahlen sind fast vorbei – nur in Georgia gibt es Anfang Dezember aufgrund des knappen Wahlergebnisses noch eine Stichwahl, nämlich Demokrat Warnock gegen Republikaner Herschel – und bis zu einem gewissen Grad fühlt es sich an, als hätten beide Parteien verloren.

So kommentierte der Republikaner Marco Rubio, der zumindest offiziell Anhänger demokratischer Gesellschaftsformen ist, während eines Fox-News-Interviews "es sei ein Wunder, dass die Republikanische Partei überhaupt noch Wahlen gewänne, wo doch die Kultur und Medien des gesamten Landes gegen sie seien".

Auch einige Demokraten sind ihrem Partei-Credo treu geblieben und haben komplett vermeidbare Verluste im Repräsentantenhaus zugelassen. Besonders im Bundesstaat New York lässt sich die Wahl-Pleite auf die Wahlkampf-Strategie der alteingesessenen Demokratischen "Partei-Maschine" zurückführen, die Republikaner rechts überholen zu wollen.

Und so ist es vielleicht das Resultat aus dem Verlust des Repräsentantenhauses, aber vor allem höchste Zeit, dass sich die ehemalige "Speaker of the House" und lebende Verkörperung der demokratischen Westküsten-Elite, Nancy Pelosi, zurückzieht.

Das bedeutet keineswegs einen neuen Kurs für "House"-Demokraten, denn die Grand Dame wir durch Hakeem Jeffries ersetzt. Dieser wird schon seit einiger Zeit als Pelosis Nachfolger gehandelt und beschrieb seine politische Position bereits in einem Interview mit The Atlantic im August 2021.

Laut Jeffries gibt es "einen Unterschied zwischen progressiven Demokraten und demokratischen Sozialisten der harten Linken. Jedoch seien es die letzteren, die sich von ihm distanzieren würden und nicht umgekehrt.

Er seinerseits sei eindeutig ein schwarzer progressiver Demokrat, der sich mit der Dringlichkeit der heutigen Zeit gegen rassistische, soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit einsetzt. Auf dieser Politik sei seine politische Karriere begründet und solange er im Amt sei, würde es nie einen Moment geben, in dem er vor dem demokratischen Sozialismus der harten Linken in die Knie gehe".

Alles beim Alten also, – nur mit neuem Gesicht.

Ohne liberale Richtrer kann Biden sich innenpolitisch nicht durchsetzen

Auch die Republikanische Partei scheint auf Kurs zu bleiben, zumindest vorerst: Am Dienstagabend gab Donald Trump seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2024 bekannt. Wie gewohnt wandte sich der Ex-Präsident in einer ausschweifenden Rede, von seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida aus, direkt an seine Anhängerschaft. Der einzig relevante Teil war der folgende:

Um Amerika wieder groß und glorreich zu machen, gebe ich heute Abend meine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten bekannt.

Donald Trump

Und wie zu erwarten, wenden sich wichtige Vertreter der konservativen Medien gegen Trump. Unter anderem der Haus-Karikaturist der Konservativen, Ben Harrison, der Trump zuletzt als Stein um den Hals der Republikanischen Partei darstellte.

Die National Review, ein etabliertes Sprachrohr der Republikanischen Partei, betitelte einen Kommentar der Redakteure zu Trumps Bekanntmachung mit der eindeutigen Überschrift: "No". Viel Widerstand aus den eigenen Reihen also, aber solches Gerede hat Trump bisher nicht aufgehalten – egal, wie sehr das Republikanische Partei-Establishment Ron DeSantis an seiner Stelle sehen würde.

Präsident Biden jedenfalls fühlt sich durch das Wahlergebnis bestätigt in seinem Kurs und sieht keinen Grund für einen konsequenten Reformkurs. Nachdem einer seiner beliebten Reformversuche, das "Schuldenerlassprogramm für Studierendenkredite", durch eine einstweilige Verfügung eines Bundesberufungsgerichtes, erst einmal landesweit verboten wurde, reagierte die Biden-Regierung gewohnt handzahm mit einer Bitte an den "Supremecourt" um Wiederaufnahme des Prozesses.

Nur zur Erinnerung: der "0berste Gerichtshof" ist noch immer mehrheitlich besetzt von konservativen Mitgliedern der "Federalist Society". Wenn Biden also nicht mindestens droht, die Macht des Gerichts durch das Hinzufügen mehrerer liberaler Richter zu brechen – ein Manöver, das er bisher strikt abgelehnt hat –, ist die Hoffnung auf die Umsetzung seines Wahlversprechens gering. Aber vielleicht hatten die Demokraten das bereits vorhergesehen, und so war das "Schuldenerlassprogramm für Studienkredite" in erster Linie genau das: nur ein Versprechen ohne Umsetzung.

Kampf um Einfluss im Südostpazifik

Welche realpolitischen Auswirkungen hat das Zwischenwahlergebnis also wirklich? Tendenziell spricht eine Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus, möge sie auch noch so fragil sein, für eine Abkehr der Biden-Regierung von ihren innenpolitischen Projekten, zugunsten außenpolitischer Ziele.

Das "Weiße Haus" ist nun erpressbar, und wie der frisch gekrönte "Speaker of the House", Kevin McCarthy, schon vor den Zwischenwahlen ankündigte, sind die Republikaner dazu bereit, den Geldfluss zur militärischen Unterstützung der Ukraine zumindest zeitweise zu unterbrechen, um progressive Innenpolitik der Demokraten zu verhindern.

Das gibt dem Weißen Haus eine willkommene Ausrede, ausschließlich seine primäre Funktion zu erfüllen, nämlich die außenpolitischen Interessen der USA durchzusetzen, ohne an den altbewährten Machtstrukturen des politischen Systems in den USA rütteln zu müssen.

Zugegeben, Biden hat alle Hände voll zu tun. Noch in den vergangenen Wochen warnte "Secretary of State", Antony Blinken, vor der bevorstehenden militärischen Übernahme Taiwans durch China und Biden gelobte, den Inselstaat zur Not auch militärisch zu verteidigen. Ein Kommentar, den der Präsident kurze Zeit später zurückzog, um bisherige Politik der "strategischen Ambivalenz" nicht zu gefährden. Auch Regierungsvertreter in China ließen verlauten, "der US-Präsident solle sich für eine Haltung in Bezug auf Taiwan entscheiden."

Nachdem sich Präsident Biden und der Präsident der Volksrepublik China, Xi Jinping, vor kurzem anlässlich des G-20-Gipfels auf Bali nun endlich persönlich kennenlernen durften, hat sich zumindest der Tonfall zwischen den Supermächten etwas entspannt. Nach dem Treffen verkündete Biden, laut BBC, es solle keinen neuen "Kalten Krieg geben" – zumindest nicht mit China.

Bei aller Widersprüchlichkeit zwischen den beiden Großmächten hofft die US-Regierung, China werde und könne beschwichtigend auf Russland einwirken. Beide Seiten erklärten, dass sie den Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine ablehnen, Xi bekräftigte Chinas Aufruf zum Frieden und fügte hinzu, es gebe "keine einfache Lösung für ein komplexes Problem". Das klingt ja vielversprechend.

Kurz gesagt, die USA ringen um Einfluss im Süd-Ost-Pazifik. Die Länder der "Association of South East Asian Nations", kurz Asean, geraten immer mehr in den Bann Chinas, denn die Volksrepublik hat einfach einen zu großen wirtschaftlichen Einfluss auf seine "Nachbarstaaten" und zeigt sich militärisch stark und potent.

Das mag Mitgliedsstaaten, die wie Vietnam China historisch eher feindlich gesinnt waren, nicht behagen. Andererseits gilt auch die USA nicht als zuverlässigen Partner, sondern als einer, der sich allzu sehr mit "Menschenrechten und Demokratie beschäftigt". Vor allem aber war die USA trotz aller Bemühungen der "Asean" nicht bereit, ein Freihandelsabkommen abzuschließen, was der am stärksten vom Handel abhängigen Region der Welt, und dem Ansehen der USA vor Ort, sicherlich geschadet hat.

Jetzt klingt es fast so, als wären die USA auf Chinas wirtschaftlichen und diplomatischen Einfluss in Pjöngjang und Moskau angewiesen. Und wie zu erwarten, gleicht die USA den Verlust an Einfluss und Prestige im Pazifik durch eine Stärkung ihrer militärischen Bündnisse aus, besonders mit Japan und Australien.

USA droht Spaltung im Inneren

Das US-Militär und der damit verbundene Industriekomplex sind und bleiben das erste und letzte Instrument und Symbol US-amerikanischer Vorherrschaft. Abgesehen von dem enormen "Defense Budget", das im Fiskaljahr 2022 auf 1,64 Billionen US-Dollar angestiegen ist, hat die US-Regierung anderen Nationen seit 1947 fast eine Billion US-Dollar an Militärhilfe gewährt. Diese Form der "Hilfeleistung" ist ein wichtiges Druckmittel des US-Außenministeriums gegenüber Verbündeten und deren Feinde – und zu letzteren zählt momentan Russland.

Seit Beginn der Biden-Administration haben die USA mehr als 18,9 Milliarden Dollar an "Sicherheitshilfe" für die Ukraine bereitgestellt. Dieser Geldfluss ist Dank der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus nun in Gefahr und mit ihm das "Prestige der USA", mit welchem hauptsächlich jenes des "Foreign Policy Establishments" gemeint ist.

Der Demokratischen Partei ist die Wahrung außenpolitischer Interessen immer wichtiger erschienen als die Bedürfnisse der eigenen Wählerschaft, geschweige denn die der Bevölkerung. Auch jetzt hofft Biden, dass sich die Republikaner im "House" verhandlungsbereit zeigen und weitere 7,7 Milliarden US-Dollar an die Ukraine bewilligen. Im Umkehrschluss ist anzunehmen, dass jegliche nachhaltigen sozialen Reformen erst einmal auf Eis gelegt werden.

Wenn die Zwischenwahlen und die bisherige Reaktion der Parteien auf die Ergebnisse uns eines zeigen, dann, dass das Weiße Haus, und besonders die Demokratische Partei, hauptsächlich politische Organe der Außenpolitik sind. Zugleich werden innenpolitische Themen immer mehr dem "Supreme Court" und den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Dies zeigten auch die Referenden über "Abtreibungsrechte", die in manchen Bundesstaaten Teil der Zwischenwahlen waren. Mit eindeutigen Ergebnissen:

Laut CNN haben Wähler in Kalifornien, Michigan und Vermont für Maßnahmen zum Schutz der Abtreibungsrechte gestimmt. In Kentucky und Montana wurden Änderungsanträge, mit der Absicht, die Abtreibungsrechte weiter einzuschränken, abgelehnt. Das sind gute Nachrichten. Dennoch, nicht alle Bundesstaaten werden solch "direkt-demokratischen" Maßnahmen ergreifen und eigentlich sollten Grundrechte nicht zur Abstimmung stehen, schon gar nicht auf Bundesstaatenebene.

Wie weit wohl dieser Drift zwischen Außenpolitik in Washington und innenpolitischen Konflikten auf der Ebene der Bundesstaaten führen mag? Noch sind es ein paar Schritte zum Zerfall der "United States of America" in separate Rechtsräume oder der "Great American Divorce".