Neutrinos on the rocks

Der IceCube-Detektor besteht aus langen Ketten von Photomodulen, die an Strängen in eisigen Tiefen hängen

Im Eis der Antarktis haben Physiker Spuren von Teilchen entdeckt, die vielleicht schon seit Milliarden von Jahren das Universum durchstreifen

Das Neutrino ist ein höchst widersprüchlicher Geselle. Einerseits ist es ein absoluter Einzelgänger. Es besitzt keine Ladung und nur eine sehr, sehr geringe Masse (deren Unterschied zu 0 noch immer nicht absolut belegt ist), deshalb bandelt es weder über die elektromagnetische Wechselwirkung noch über die Gravitation mit dem Rest des Universums an. Nur die schwache Wechselwirkung (die ihrem Namen alle Ehre macht) kann das Teilchen dazu bringen, mit anderer Materie zu reagieren.

Andererseits tritt das Neutrino nie allein auf. In dieser Sekunde wird jeder Quadratzentimeter Ihrer Haut von einer großen Zahl Neutrinos durchquert - insofern dürfen wir dem Universum dankbar sein, dass die schwache Wechselwirkung nicht hundertmal stärker ist. Die verschiedenen Arten von Neutrinos, Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino, entstehen bei sehr vielen Kernreaktionen zum Beispiel in unserer Sonne und durchstreifen ab diesem Moment je nach ihrer Energie voraussichtlich sehr lange das Weltall.

Neutrinos sind dabei zwar reaktionsfaul - aber man kann ihnen nicht vorwerfen, lahm zu sein. Sie bewegen sich so schnell, dass man ihnen lange gar Lichtgeschwindigkeit unterstellte. Wegen ihrer geringen Masse liegt ihre Geschwindigkeit nur sehr knapp unter der des Lichts.

Trotzdem tragen sie oft jede Menge Energie mit sich. Die Sonne etwa produziert Neutrinos mit bis zu 10 MeV. Sternexplosionen hingegen erzeugen noch weit energetischere Neutrinos - und aus der Frühzeit des Universums, so hoffen die Astronomen, müsste noch viel schnellere Vertreter ihrer Art erhalten geblieben sein.

Der IceCube-Detektor

Das macht die Suche nach ihnen auch so spannend. Denn andere Teilchen, die etwa zur hochenergetischen kosmischen Strahlung gehören, sind zum einen weitaus langsamer, zum anderen werden sie von interstellarer Materie und schließlich dem Magnetfeld der Erde abgeschirmt.

All das stört die Neutrinos kein bisschen - deshalb freuen sich die Astronomen fast noch ein bisschen mehr als die Hochenergiephysiker, wenn die Fahndung nach ihnen wieder einmal Erfolge meldet. 1987 hatte das bereits funktioniert - damals konnten Neutrino-Detektionen einer Supernova zugeordnet werden, die auch optisch zu beobachten war. Jetzt sind Forscher erneut fündig geworden, und zwar ausgerechnet in der Nähe des Südpols. In der Kälte der Antarktis arbeitet seit 2010 der IceCube-Detektor.

Er besteht aus etwa einem Kubikkilometer Eis - und war doch weit weniger kompliziert zu errichten als man vermuten würde. Die Forscher haben nämlich eine 86 mehr als 1000 Meter tiefe Löcher in das Eis gebohrt und lange Stränge von Photodetektoren in diese Hohlräume gehängt - insgesamt 5160 etwa basketballgroße Instrumente.

Diese reagieren auf die bläulichen Lichtblitze, die von hochenergetischen Elektronen ausgesandt wird, die bei der Reaktion eines Neutrinos mit einem Wasserstoffkern entstehen (so genannte Tscherenkow-Strahlung).

An solchen Lichtblitzen ist nun kein Mangel - die Kunst besteht vielmehr darin, all die Neutrino-Spuren auszusortieren, die etwa von solarer Herkunft sind. Das ist eine echte Fleißarbeit, die die Forscher nun zu einem vorläufigen Ende bringen konnten.

Rekordhalter

In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science berichten sie von ihren Ergebnissen. Demnach hat IceCube insgesamt 28 Vorfälle registriert, die nur von kosmischen Neutrinos ausgelöst worden sein können.

Darunter befinden sich extrem energiereiche Ereignisse; die Rekordhalter lagen dabei über einem Peta-eV, während die Physiker am CERN froh sind, Teilchen auf ein paar Tera-eV beschleunigen zu können. Doch auch die langsameren der 28 registrierten Neutrinos waren noch mit über 30 TeV unterwegs.

Spur des bisher schnellsten beobachteten Neutrinos

Noch ließen sich die Spuren keinem kosmischen Objekt oder Ereignis zuordnen. IceCube lässt sich nicht auf bestimmte Bereiche des Himmels eingrenzen, die Neutrinos könnten sogar von der anderen Erdhälfte kommen und zufällig erst hier mit Materie reagieren.

Sollte es allerdings über die Jahre gelingen, noch mehr dieser Spuren aufzuzeichnen, könnte die Summe der Beobachtungen später ein echtes Bild ergeben - wie bei der Belichtung einer Fotografie, die ebenfalls eine gewisse Anzahl an Wechselwirkungen (hier mit Photonen) benötigt. (Matthias Matting)