Medien in der Krise: Nachrichtenüberdruss in Zeiten der "Kriegsmüdigkeit"

Vierte Gewalt oder dubiose Gestalt? Medienschaffende müssen um ihren Ruf kämpfen. Bild: Marcus Sümnick, CC BY-SA 2.0

Reuters-Studie: Interesse an Nachrichten sinkt, auch das Vertrauen in Journalismus geht wieder zurück.

Das im journalistischen Berufsfeld und in der Journalistik renommierte (dabei relativ branchen-, also unternehmernahe) "Reuters Institut for the Study of Journalism" an der Universität Oxford hat in seinem jährlichen Bericht erneut Bemerkenswertes publiziert.

Die 2006 gegründete britische Denkfabrik und insbesondere diese Studie, die sich vor allem etablierten Nachrichtenmedien widmet, wird unter anderem unterstützt von wirtschafts- oder neoliberalen Organisationen wie der "Google News Initiative" und den "Open Society Foundations", aber auch von Medien wie der BBC und der Nachrichtenagentur Reuters sowie von einigen Wissenschaftseinrichtungen, aus Deutschland dabei das Hamburger Hans-Bredow-Institut.

Untersucht wurden "46 Märkte"

Der elfte Bericht seiner Art basiert auf Daten von allen Kontinenten, genauer aus "46 Märkten", wie der Report, ganz wirtschaftsliberal, diese 46 Länder nennt, darunter 23 europäische Länder mit westlicher Orientierung, nicht zuletzt Deutschland. Länder wie China, Russland, Belarus, Kuba, Venezuela,Vietnam oder Nordkorea waren erneut nicht Teil der Studie.

Bemerkenswert vor allem, dass sowohl die Nutzung etablierter Medien als auch das Vertrauen in deren Berichterstattung seitens der Bürger:innen laut Report wieder (und in der langfristigen Tendenz weiter) zurückgegangen sind.

Der Bericht des Vorjahres, also der von 2021, hat laut Studie noch "einige positive Anzeichen für die Nachrichtenbranche" enthalten, mit höherem Medien-Konsum und steigendem Vertrauen in etablierte Medien inmitten der zweiten Welle von einschränkenden Coronavirus-Maßnahmen.

Viele traditionelle Nachrichtenmedien schienen dabei von größerer Aufmerksamkeit zu profitieren, auch ganz direkt finanziell, da mehr Menschen Online-Abonnements abschlossen und Werbekunden sich, so die Studie, mit "zuverlässigen Inhalten" in Verbindung gebracht sehen wollten.

Nun aber, 2022, zeichnet die aktuelle Studie ein "weniger optimistisches Bild", und es lässt sich damit meines Erachtens von einer neuen Art "digitaler Spaltung" reden, also "digital divide":

Welche Medien Rekordzahlen bei Online-Abos verzeichnen

Während eine Gruppe von vornehmlich wohlsituierten Nachrichtenorganisationen (dabei nicht zufällig globalisierungsaffine Medien wie New York Times oder Zeit) Rekordzahlen bei digitalen Abonnements und steigende Einnahmen melde, stelle man zugleich fest, dass das Interesse an Nachrichten und die Nachrichtennutzung insgesamt "in vielen Ländern erheblich zurückgegangen" sei, während das Vertrauen in die Medienbeiträge "fast überall zurückgegangen" sei - obwohl es laut Studie noch immer meist etwas höher bleibt als vor Beginn der Corona-Krise.

In einigen wenigen reichen Ländern wie namentlich Australien, Deutschland, und Schweden sind mehr Menschen als bisher bereit, für Online-Journalismus zu zahlen, und sie zahlten auch tendenziell dann wiederum mehr als früher dafür. Insgesamt aber scheint das Wachstum sich zumindest abzuflachen – womöglich auch eine Folge, denke ich, von weltweit grassierendem Sozialabbau und sich verschärfenden/überlagernden Krisen und Konkurrenzen.

Insgesamt wachse "überall" die Sorge über drohende Lebenshaltungskostenkrisen, welche Menschen auch dazu zwingen mag, künftig (noch) weniger Geld für Nachrichtennutzung auszugeben. Unter jenen 20 Ländern der Studie, in denen journalistischer "Paid Content" weit verbreitet ist, zahlten weiterhin nur 17 Prozent für Online-Nachrichten – das gleiche Niveau wie 2021. Und: "Jüngere Menschen zum Bezahlen zu überreden, bleibt ein wichtiges Thema für die Branche, denn das Durchschnittsalter der digitalen Abonnenten liegt bei fast 50 Jahren".

Erhöhte Aufmerksamkeit bei Kriegsbeginn, dann bewusste Vermeidung

Die Studie macht deutlich, dass eine gewisse "Nachrichtenmüdigkeit" einsetze, vielleicht nicht zufällig auch hier eine Parallele zur derzeit von Politikern wie Boris Johnson oder Annalena Baerbock wiederholt angeprangerten "Kriegsmüdigkeit" mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Diese "Müdigkeit" bezieht sich, wie es in der Studie heißt, auf ganz verschiedene Themen, wobei die Zahl der Menschen, die "aktiv Nachrichten meiden", deutlich zunehme.

Die empirischen Daten der Studie seien Anfang Februar erhoben worden, also vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Dieses Ereignis habe zunächst zu einem deutlichen Anstieg der Nachrichtennutzung geführt (die Studie schreibt übrigens fast immer "Nachrichtenkonsum", was sicher kein Zufall ist mit Blick auf deren Perspektive), und zwar "über alle Nachrichtenquellen hinweg" (auch wenn die Studie kaum "alle Nachrichtenquellen" untersucht haben dürfte).

Aber: Eine zweite Erhebung in fünf Ländern Anfang April, also rund sechs Wochen nach dem Einmarsch, habe "ein weiteres Ausmaß an selektiver Vermeidung" gezeigt, nicht zuletzt in Ländern wie Polen und Deutschland, die vergleichsweise "direkt von dem Konflikt betroffen" seien. Dazu unten mehr, die Studie widmet der Kriegs-Berichterstattung ein eigenes Kapitel.

Zur Frage des Vertrauens in die Nachrichten: Jenes Vertrauen ist laut Studie in fast der Hälfte der untersuchten 46 Länder gesunken und nur in sieben Ländern gestiegen. Damit sind gemessene Vertrauenszuwächse aus der ersten und zweiten Corona-Phase weitgehend wieder verschwunden. Im Durchschnitt sagen aktuell nur noch 42 % der Gesamtstichprobe (und damit deutlich weniger als die Hälfte), dass sie "den meisten Nachrichten meistens vertrauen".

In jedem Land wurden für diese Studie per Online-Interview durch das börsennotierte britische Markt- und Meinungsforschungsunternehmen "YouGov" (im Jahre 2000 von politisch Konservativen gegründet - einer der beiden Gründer, Nadhim Zahawi, ist mittlerweile Bildungsminister im Kabinett Johnson, soviel zu den Netzwerken) gut 2000 Menschen befragt, in Großbritannien mehr als 2400, wobei die Repräsentativität dieser Umfragen in Ländern wie Indien oder Südafrika sehr eingeschränkt sein muss, wo die offizielle Internet-Verbreitung derzeit laut Studie bei nur 54 Prozent bzw. 58 Prozent der Gesamtbevölkerung liegt.

Von den 46 untersuchten Ländern bleibt Finnland das Land mit dem höchsten Vertrauen der Nutzenden in die Nachrichtenmedien (mit 69 Prozent der Befragten), während das Vertrauen in Nachrichten in den USA um weitere drei Prozentpunkte gesunken und damit weiterhin am niedrigsten unter all diesen 46 Ländern ist (26 Prozent).

Die Studie äußert sowohl mit Blick auf die eigenen Daten als auch auf einen umfassenderen Forschungsstand, zwei der Hauptgründe für relativ geringes und tendenziell sinkendes Vertrauen insbesondere in etablierte Medien seien 1.) eine leider nicht näher bestimmte "Gleichgültigkeit gegenüber Nachrichten und deren Wert" zusammen mit 2.) einer doch ziemlich weit verbreiteten "Wahrnehmung politischer und anderer Voreingenommenheit der Medien".

In Ländern wie den USA trauen laut Studie Menschen mit rechter/rechtsextremer politischer Ausrichtung (wie zum Beispiel viele Trump-Anhänger) etablierten Medien deutlich weniger als andere. In Ländern wie Frankreich und Kanada wiederum fällt auch dem Report nicht zuletzt anlässlich von Sozialprotesten auf, dass Unterprivilegierte ("Have-nots") den etablierten Medien signifikant weniger trauen als andere.

Zwei weitere wichtige Aspekte fehlenden Vertrauens betreffen die oft beschworene Unabhängigkeit und proklamierte Orientierung auf das Gemeinwohl moderner journalistischer Medien:

Erstens: Vor allem in EU-Ländern Süd- und Südosteuropas, am stärksten geäußert in Griechenland, Italien und Spanien, aber auch in Ungarn, Bulgarien und der Slowakei, betrachten nur sehr wenige Menschen die Medien als unabhängig vom Einfluss politischer und wirtschaftlicher Eliten.

Zweitens: Mit Blick auf die Medienorganisationen selbst sagen nur 19 Prozent der Befragten weltweit, dass Medien vor allem dem gesellschaftlichen Gemeinwohl dienten. Immerhin 42 Prozent hingegen äußern, die Medien verfolgten insbesondere eigene wirtschaftliche Interessen, während fast ebenso viele, nämlich 40 Prozent, angaben, die Medien bedienten zuvörderst ihre (der Medien) eigene politische Agenda und Interessenlage.

In Deutschland stellt sich die Lage laut Studie insgesamt etwas "medienfreundlicher" dar als in vielen anderen untersuchten Ländern, wenn auch globale Tendenzen nicht spurlos an der Bundesrepublik vorbeigehen: Der Anteil der Leute, die angaben, Nachrichten im allgemeinen zu trauen, sank im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozentpunkte, auf nunmehr 50 Prozent (damit acht Prozent über dem globalen Mittel).

57 Prozent der Befragten sagten, sie vertrauten den Nachrichten, die sie nutzen. Das Vertrauen in eine "Unabhängigkeit von unzulässigen politischen und kommerziellen Einflüssen" ist laut Studie im Vergleich zur letzten Abfrage dieser Aspekte (2017) gewachsen, liegt allerdings weiter deutlich unter der Hälfte der Befragten: Nunmehr 41 Prozent sehen dem Report zufolge journalistische Medien als unabhängig von "unzulässigen politischen Einflüssen" (2017: 37 Prozent), und 40 Prozent der Befragten erachten die Nachrichtenüberbringer als unabhängig von "unzulässigen wirtschaftlichen Einflüssen" (2017:35 Prozent).

Vertrauenswürdigkeit: Bild – ein Massenmedium als Schlusslicht

Die relativ vertrauenswürdigsten Quellen seien nach wie vor öffentlich-rechtliche Nachrichtenmedien und Regionalzeitungen. Das geringste Vertrauen im Rahmen des Abgefragten genieße das Boulevardmedium Bild. Im Ranking direkt davor, allerdings jeweils doch mit deutlich besseren Werten als Bild, liegen die beiden einzigen reinen Online-Medien der Studie für Deutschland, web.de und t-online.

Ebenfalls bemerkenswert der Aspekt des Rückgangs der Mediennutzung, ja, des bewussten Meidens von Mediennutzung (mit dem klaren, wenn auch kaum expliziten Fokus auf "etablierte Medien"). Diesen Rückgang bzw. diese Meide-Verhalten diskutiert die Studie aber eher nicht im etwaigen Zusammenhang mit jenem Aspekt sinkenden Vertrauens in Medien, sondern mehr im Kontext von "zu viele schlechte Nachrichten" und/oder " zu schwer verständlich".

Dabei heißt es im Report selbst, dass insgesamt immerhin 29 Prozent der Nachrichten-Vermeidenden angeben, die Nachrichten erschienen ihnen nicht vertrauenswürdig oder (auch) zu "biased", also zu parteiisch und voreingenommen, womit dies der vierthäufigste der anzukreuzenden Gründe fürs Vermeiden wäre.

Laut Studie ist die Nutzung "traditioneller Medien", wie Fernsehen und Printmedien, in fast allen Ländern weiter zurückgegangen, zumindest bis zum Kriegsbeginn am 24. Februar 2022. Die Nutzung von Onlinemedien (einschließlich sogenannter Social-Media-Plattformen) wuchs weiter, ohne allerdings den Rückgang bei den "Etablierten" ausgleichen zu können.

Viele der Befragten gaben an, die etablierten Nachrichten weniger zu nutzen oder sich ganz von Nachrichten abzuwenden. Mit Blick auf die jeweils Befragten fasst der Report zusammen: "Das Interesse an Nachrichten ist stark zurückgegangen", von 63 Prozent im Jahr 2017 auf 51 Prozent im Jahr 2022".

Inzwischen sei der Anteil der Nachrichtennutzenden, die angeben, dass sie Nachrichten oft oder manchmal meiden, in allen untersuchten Ländern stark gestiegen. Diese Art der "selektiven Vermeidung" habe sich zum Beispiel sowohl in Brasilien (von 27 auf 54 Prozent) und dem Vereinigten Königreich (von 24 auf 46 Prozent) in den jüngsten fünf Jahren in etwa verdoppelt, beides übrigens große kapitalistische Länder mit rechts-autoritärem Spitzenpersonal.

"Problemzonen" – die Gründe der Nachrichtenmeider

An der Stelle kurz skizziert einige Vorschläge für "besseren Journalismus", basierend auf acht "Problemzonen", die der Report identifiziert hat:

1.) 43 Prozent der befragten "selektiven Nachrichtenmeider" monieren zu viele Wiederholungen, zu viel vom Selben im Journalismus. Dem ließe sich mit mehr Vielfalt a) der Themen, b) der Meinungen zu diesen Themen, c) der ausgewählten Quellen und Gäste und nicht zuletzt d) der Darstellungsformen entgegenwirken.

2.) 36 Prozent der "Vermeider" sagen laut Studie, Nachrichten verschlechterten ihre Stimmung, was vor allem (bei) den unter 35-Jährigen auffällt. Dagegen mag weniger "Negativismus" helfen, also weniger Einsatz und Ausnutzung des langjährigen Nachrichtenfaktors Nr. 1 im globalen Norden.

3.) 29 Prozent der Skeptiker geben an, die Nachrichten überforderten sie. Dagegen könnte (es) sinnvoll sein, die Publika mehr "auf Augenhöhe" zu adressieren, sich mehr in deren Lage zu versetzen (ohne ihnen nach dem Munde zu reden), als von "oben herab zu predigen".

4.) 29 Prozent der mit Nachrichten Unzufriedenen trauen laut Studie den Nachrichten nicht, weil die zu parteiisch und voreingenommen seien. Das scheint mir, wenn auch nur auf Platz vier, ein ganz zentraler Punkt, um wachsende Verselbständigungen und Polarisierungen im Bereich Medien/Mediennutzung (besser) verstehen zu können.

Wenn dem so ist, dann wäre auch deshalb mehr Diversität in vieler Hinsicht angezeigt (s.o.), Redaktionen sollten besser unterscheiden zwischen Informationsbetontem und Meinungsbetontem. Anzustreben wären breitere Themen-und Meinungskorridore, mehr Transparenz mit Blick auf die Beiträge, auf uns Journalist:innen und nicht zuletzt auf die Medienorganisationen und deren Interessen. Aber ebenso mehr - und bessere - "Artikulation", also Wahrnehmen und Aufzeigen möglichst vieler Tendenzen in der Gesellschaft (gerade auch dann, wenn sie mir/uns nicht gefallen).

5.) 17 Prozent jener Gruppe meiden Nachrichten, weil diese Nachrichten zu vermeidbarem Streit führten. In Zeiten von Klima-Krise oder Corona-Krise und Kriegs-Krise kennen das vermutlich viele von uns aus eigenem Erleben: Menschen zerstreiten sich bis aufs "Blut" angesichts von durchaus existentiellen Fragen wie "Tempolimit", "Impfpflicht" oder "schwere Waffen für die ukrainische Führung". Vielleicht könnte es helfen, über solche Grundsatzfragen weniger polarisierend, also weniger im dualen "Gut-/Böse"-Schema zu berichten und zu kommentieren.

6.) 16 Prozent der befragten Nachrichten-Meider sagen laut Report, Nachrichten hinterließen bei ihnen ein Gefühl der Machtlosigkeit. Hier böte sich mehr konstruktiver, also lösungsorientierter Journalismus an. Journalismus, der neben seinen klassischen Aufgaben auch Lösungsvorschläge recherchiert und anbietet – wohlgemerkt: nicht DIE EINE Lösung propagiert. Das könnte laut mancher Studien zum konstruktiven Journalismus (nicht zu verwechseln mit "positivem Journalismus") gerade junge Menschen zu mehr Mut aktivieren, im Sinne von möglicher Selbstwirksamkeit, statt Schicksalsergebenheit.

7.) 14 Prozent aus jener Gruppe meiden Nachrichten, weil sie nicht genug Zeit dafür hätten. Das kann als Plädoyer für gute UND kurze/prägnante Formate aufgegriffen werden, oder eben, gesellschaftlich, auch als ein Argument für allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, damit mehr Zeit für andere Tätigkeiten wäre.

8.) Acht Prozent der Nachrichten-Meider schließlich geben an, Nachrichten seien schwer verständlich. Das hieße für den Journalismus: Möglichst ansprechend texten. Und es hieße gesamtgesellschaftlich Bildungsniveau und Medienkompetenz zu verbessern. Auch, um mit fragwürdigen Beiträgen besser umgehen zu können, sei es (bewusste) Desinformation oder (eher zufällig falsche) Missinformation.

Und damit, genau bei diesem Thema, zurück zum Reuters-Report: Das Besorgtsein der Menschen wegen womöglich falscher oder irreführender Informationen ist in afrikanischen Ländern wie Kenia und Nigeria laut Studie global am höchsten (bei 72 Prozent der Befragten), während es weltweit in Österreich (31 Prozent) und Deutschland (32 Prozent) am niedrigsten zu sein scheint.

Zum Aspekt "Kriegsberichterstattung": In jenen fünf Ländern, die nach Beginn des Krieges in der Ukraine (nochmals) untersucht wurden, also Deutschland, Polen, Großbritannien, die USA und Brasilien, stellten die Autor:innen der Studie fest, dass tradierte Fernsehnachrichten am meisten genutzt wurden und auch als relativ vertrauenswürdig galten (Das war übrigens in der ersten Phase der Corona-Pandemie ähnlich und mag nun, nebenbei, die für manche überraschend hohe Popularität gerade in Kriegszeiten von relativ telegenen Politiker:innen wie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck erklären).

Länder, die den Kämpfen vergleichsweise nahe sind, wie Deutschland und Polen, verzeichneten laut Report den größten Anstieg der Nachrichtennutzung. Die selektive Vermeidung von Nachrichten habe dennoch auch in diesem Kontext insgesamt weiter zugenommen – die Studie bietet dafür als Interpretation an: "wahrscheinlich wegen der schwierigen und deprimierenden Art der Berichterstattung".

Ausgeblendete Motive

Und thematisiert damit nicht etwaige andere Motivationen wie "grundsätzliche Ablehnung des Krieges", "grundsätzliche Ablehnung der herrschenden Sichtweise", "Ablehnung von Einseitigkeit der Nachrichten", "Ablehnung der Vermischung von Nachrichten und Kommentaren" oder von ähnlich potentiell und grundsätzlich Selbstkritischem.

Die pro Land jeweils rund 1000 repräsentativen Befragungen für dieses Update zum Report fanden Ende März/Anfang April statt. Im Vergleich der fünf Länder war die Aufmerksamkeit für den Krieg laut Report in Deutschland über alle Altersgruppen am höchsten, allerdings in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen hierzulande deutlich am geringsten.

Wie bei anderen großen Weltereignissen, wenden sich Menschen laut Studie gerade in Krisenzeiten eher den Fernsehnachrichten zu. Bei der Frage, welcher Nachrichtenquelle sie im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Konflikt die größte Aufmerksamkeit schenken, führt das Fernsehen in drei der fünf Länder das Ranking an - wobei Deutschland (46 Prozent) und Brasilien (44 Prozent) die meiste Aufmerksamkeit für TV-Nachrichten über den Konflikt auf sich vereinen.

In den USA und Polen entfällt ein größerer Anteil auf Online-Nachrichtenseiten, Nicht-Mainstream-Seiten und soziale Medien - das Fernsehen ist jedoch nach wie vor die am häufigsten genutzte Einzelquelle für Nachrichten über den Konflikt.

Für Deutschland, als dem TV-Nachrichtenspitzenreiter, fällt im Report auf, dass spiegelverkehrt zur hohen Fernsehnutzung die Gesamtnutzung von Online-Nachrichtenquellen (Online-Plattformen etablierter Medien, Social-Media-Plattformen sowie Spezial- und Alternativmedien) deutlich niedriger ist als in den vier anderen Ländern.

Bemerkenswert, dass (bereits) Anfang April messbar war laut Studie, die selektive Vermeidung von Nachrichten habe deutlich zugenommen mit Blick auf den Krieg. In Deutschland, Polen und den USA war schon zu jenem Zeitpunkt der Anteil derjenigen, die angaben, dass sie Nachrichten manchmal oder oft aktiv meiden, signifikant gestiegen. Der stärkste Anstieg war dabei in Deutschland zu verzeichnen (plus sieben Prozentpunkte), deutliche aber auch in Polen (plus sechs Prozentpunkte) und den USA (plus vier Prozentpunkte).

Die Autor:innen der Studie unterstreichen, dass der Anstieg von sieben Prozentpunkten bei den Nachrichten-Meidenden in Deutschland in nur zwei Monaten (von Anfang Februar bis Anfang April) größer war als der Anstieg von fünf Prozentpunkten, den man in den fünf Jahren von 2017 bis 2022 gemessen hatte.

Wenig überraschend wiederum, dass die Studie dafür Interpretationen anbietet wie "zu schlimme Bilder/zu schreckliche Nachrichten/zu schlechte Stimmung" und kaum auf die Idee zu kommen scheint, dass sich darin auch Motive wie eine grundsätzliche Ablehnung des Krieges oder der hierzulande herrschenden Politik sowie der entsprechend mächtigen Diskurse und Interessen ausdrücken könnten.

Allerdings kommt auch diese Studie nicht umhin, auf gewisse Punkte selbstkritisch (mit Blick auf den "westlichen" Journalismus) zu deuten: Während in Deutschland zwar 55 Prozent der Befragten angeben, "die Nachrichtenmedien in ihrem Land" hätten in der Kriegsberichterstattung insgesamt einen "guten Job" in Sachen aktueller Information gemacht, liegt die Mehrheit bei zwei weiteren Punkten anders (und damit relativ mainstream-kritisch):

Nur 46 Prozent der befragten Deutschen stimmten der Aussage zu, die Medien hätten weitergehende Auswirkungen des Krieges hinreichend deutlich gemacht, und sogar nur 40 Prozent der Menschen hierzulande äußerten, die Medien hätten eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven angeboten. Potenzial für besseren und anderen Journalismus gäbe es also nicht zuletzt an dieser Stelle.