Freihandel nach Ricardo – Wunschdenken im Streit um Amerikas Zollpolitik
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Freihandel nach Ricardo gilt als Erfolgsmodell. Trump setzt dagegen auf Zölle. Experten warnen vor negativen Folgen für alle Beteiligten. Doch stimmt die Theorie überhaupt?
Deutschlands Wirtschaft wird vom Exportsektor getragen, was gemeinhin als Erfolgsmodell gefeiert wird. Es ist daher verständlich, dass die Süddeutsche sich gegen Trumps "Zolldoktrin" und für den "Freihandel" ausspricht. Denn mit Zöllen auf deutsche Waren steht zu befürchten, dass deutsche Unternehmen weniger in die USA exportieren werden können.
Ebenso verständlich ist, dass Elon Musk Importzöllen wenig Positives abgewinnen kann. Denn die ausländischen Bauteile seiner Teslas könnten teurer und daher seine Gewinne geschmälert werden.
Diese Tatsachen zusammen genommen mögen erklären, warum die deutschen Leitmedien ausnahmsweise mal mit AfD-Unterstützer Musk übereinstimmen, dass "die treibende Kraft hinter der "harten protektionistischen Handelspolitik" – der Ökonom Peter Navarro – ein "wirklicher Idiot" ist.
Freilich sind Eigeninteressen kein überzeugendes Argument gegen die Erhebung von Zöllen. Warum bei der Zollkritik unserer Leitmedien Verweise auf den "Beweis" des englischen Ökonomen David Ricardo, dass vom Freihandel alle beteiligten Länder profitierten, an der Tagesordnung sind.
Lisa Nienhaus, Leiterin der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, fasst Ricardos "Theorie" und ihre daraus abgeleitete Kritik an Trumps "aktuellem Zoll-Irrsinn" etwa wie folgt zusammen:
"Freier Handel erhöht den Wohlstand, und zwar für alle beteiligten Länder. Werden also Zölle gesenkt, dann hilft das nicht nur Firmen, die diese Zölle dann nicht mehr zahlen müssen. Sondern es erhöht ebenfalls den Wohlstand in allen beteiligten Ländern. […] Andersherum gilt: Werden Zölle neu erhoben, schadet das allen. Die Amerikaner schädigen sich also auch selbst."
Ricardo hat tatsächlich gezeigt, dass unter gewissen (unrealistischen) Bedingungen der "Freihandel" im Interesse aller daran beteiligten Länder ist. Sind diese Bedingungen aber erfüllt, dann darf es keine Handelsungleichgewichte geben, wie Ricardo selbst explizit festhielt. Wer den Segen des Freihandels zu loben nicht müde wird und dabei Ricardo zum Kronzeugen aufruft, sollte daher die Probleme von Handelsungleichgewichten zur Sprache bringen.
Handelsungleichgewichte – (K)ein Problem?
Selbst ein keynesianischer Kritiker eines unbeschränkten Freihandels will aber partout kein Problem mit den amerikanischen Defiziten sehen. Dem Defizit korrespondiere doch logisch zwingend ein entsprechend hoher "Kapitalimport", der "die amerikanischen Kapitalmärkte stärke" und dann "sowohl den inländischen Konsum als auch die Staatsverschuldung finanziere".
Wie ich an anderer Stelle schon dargelegt habe, beruht die Meinung, dass ein positiver Handelsbilanzsaldo mit entsprechend hohen Geldabflüssen und negativer Handelsbilanzsaldo automatisch mit entsprechend hohen Geldzuflüssen verbunden ist, auf einem Unverständnis der Mechanik des grenzüberschreitenden bargeldlosen Zahlungsverkehrs. In Wahrheit kommt es in Ländern mit "Kapitalexporten" im Saldo zu Geldzuflüssen und in Ländern mit "Kapitalimporten" im Saldo zu Geldabflüssen, wie auch Gustav Horn und Fabian Lindner erklären.
Wie sollte es auch anders sein? Wer mehr für Geld an Gütern verkauft als für Geld kauft, hat ein entsprechendes "Mehr" an Geld. Wer mehr an Gütern für Geld kauft als für Geld verkauft, der aber muss sich notwendig bei einem Dritten für den Differenzbetrag verschulden. Dieses "Mehr" kann man "Kapital" nennen, denn es ermöglicht in der Zukunft alle möglichen Geldausgaben zu tätigen. Schleierhaft bleibt allerdings, wie dieses "Kapital", das offensichtlich eine Resultante des Handelsbilanzdefizits ist, dieses Defizit zu finanzieren erlaubte.
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Keinesfalls jedenfalls wird mit dem "Kapital" aus Überschussländern notwendig der "private Konsum und die Staatsverschuldung" in den Defizitländern "finanziert". Denn die Vergabe eines Kredits ist nicht auf entsprechend hohe vorgängige "Ersparnisse" angewiesen, weil Banken mit der Kreditvergabe in actu Geld mithilfe eines einfachen Buchungssatzes "produzieren" können, wie ich im 3. Kapitel meines letzten Buches ausführlich erkläre.
Was allerdings nicht heißt, dass die Finanzierung von Handelsbilanzdefiziten unproblematisch wäre. Es stellt sich die Frage, ob die entsprechenden Kredite langfristig bedient werden können. Wirtschaftssubjekte, die permanent mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen, werden dazu sicherlich nicht in der Lage sein. Anders gesagt, Handelsbilanzdefizite können mit der Überschuldung von Wirtschaftsakteuren im Defizitland "bezahlt" werden.
Vor diesem Hintergrund mag die Aufforderung der FAZ an Trump, statt Zölle zu erheben, mehr zu "sparen", plausibel klingen. Als problematisch aber gilt der FAZ nicht eine mögliche Überfinanzierung des Privat-, sondern des Staatssektors. Nun aber sind Staatskredite – anders als Privatkredite – weitgehend ausfallsicher. Der amerikanische Staat kann sich daher sicherlich den Bezug ausländischer Güter in jeder Höhe finanziell leisten, zu der ausländische Produzenten bereit sind, sich dafür mit US-Dollar bezahlen zu lassen.
An dieser Stelle angekommen, mag man argumentieren, dass die USA dann doch allen Grund haben, sich über Handelsbilanzdefizite zu freuen. Da US-Dollar die bedeutendste Währung zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Handels ist und daher die Nachfrage entsprechend hoch ist, werden Amerikanern ausländische Waren in Höhe ihrer Handelsbilanzdefizite faktisch geschenkt.
Was ein solches Argument allerdings unterschlägt, ist, dass diese "Geschenke" mit einem problematischen Verlust an industriellen Kapazitäten in den USA bezahlt wurden. Um das Problem zu verstehen, nehmen wir an, in einem Land herrsche Vollbeschäftigung und ihr Handelsbilanzsaldo betrage Null. Werden nun im Ausland produzierte Güter günstiger verfügbar als im Inland produzierte Güter, wird unter "Freihandelsbedingungen" Geld, das bislang für Kauf inländischer Güter verwendet wurde, für den Kauf ausländischer Güter verwendet werden.
Die Nachfrage nach heimischen Gütern wird also reduziert und damit kann die Produktionskapazität des Landes nicht mehr vollständig ausgelastet werden. Unternehmen, deren Einnahmen entsprechend reduziert werden, werden darauf mit Kostenreduktionen reagieren, wozu neben Lohnkürzungen auch Entlassungen zählen können.
Der Vize-Präsident der USA, J. D. Vance, hat in seinem Buch "Hillbilly Elegy" die Folgen der Verlagerung industrieller Kapazitäten ins Ausland am Beispiel seiner Heimatstadt Middletown wie folgt beschrieben:
In 1970, 25 per cent of white children lived in a neighborhood with poverty rates above 10 percent. In 2000 that number was 40 percent . The opulent homes that housed Middletowns wealthy in the heyday […] have fallen into disrepair. A street that was once the pride of Middletown today serves as a meeting spot for druggies and dealers…
Nun mögen zwar, wie Niehaus behauptet, "die Amerikaner" vom "Outsourcing" "ihrer" Industrieproduktion ins Ausland profitiert haben, wenn man die jeweiligen Wohlfahrtsgewinne und Wohlfahrtsverluste aller Amerikaner zusammenrechnet. Es mag auch prinzipiell möglich gewesen sein, die amerikanischen Globalisierungsverlierer ausreichend für ihre Wohlfahrtsverluste zu kompensieren.
Was aber nichts an Tatsachen ändert, die der amerikanische Finanzminister Scott Bessent wie folgt zum Ausdruck gebracht hat:
[…] what we've seen over the past at least 20 years […] are massive distributional problems, where the coasts have done great, yes, and the middle of the country has just seen quality of life, life expectancy, decline. […] Wall Street’s done great. […] The top 10 percent of Americans own 88 percent of equities […] The bottom 50 percent has debt.
Sind aber Zölle das geeignete Instrument, um eine Reindustrialisierung anzustoßen, die einen Beitrag zur Reduktion der durch die Globalisierung bewirkten sozialen Ungleichheit in den USA zu leisten vermag?
(Im)possible Mission
Heiner Flassbeck und ich haben bereits 2018 Handelsungleichgewichte als Ausweis des Scheiterns der Globalisierung gewertet. Erklärt haben wir sie durch Lohndumpingstrategien und einer Unterbewertung ihrer Währung und Deutschlands als prominentes Beispiel genannt.
Prima facie kann mit der Erhebung von Zöllen offensichtlich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von in den USA produzierten Gütern gegenüber von im Ausland produzierten Gütern verbessert werden. Was unter geeigneten Umständen dazu führen kann, dass zusätzliche industrielle Kapazitäten aufgebaut werden.
Freilich stellt sich sofort die Frage, wer und wie für die höheren Preise in den USA "bezahlen" soll. Wenn es der Trump-Administration ernst mit ihrem Anspruch ist, dass statt Politik für die "Wall Street" für die "Main-Street" machen zu wollen, dann ist jedenfalls klar, dass die "bottom 50%" auf gar keinen Fall dafür in Form von höheren Preisen zum Beispiel für Konsumgüter "bezahlen" dürfen.
Um das zu verhindern, sollen nach dem Willen der Trump-Administration "die Ausländer" zur Kasse gebeten werden. Wie aber soll das gehen, wenn die Zölle doch beim Importeur der ausländischen Güter anfallen? Nach Meinung von Stephen Miran, dem Vorsitzenden des Rats der wirtschaftlichen Berater von Trump, werden die von den amerikanischen Zöllen betroffenen Länder ihre Währungen abwerten, um keine Marktanteile in den USA zu verlieren. Mit einer Abwertung würden aber für diese Länder amerikanische Güter teurer und in diesem Sinne "bezahlten" die Ausländer faktisch dann für die amerikanischen Zölle.
Dieses Argument mag allerdings schon deshalb nicht zu überzeugen, weil dann Zölle die preisliche Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Produzenten für im Inland verkaufte Waren nicht zu verbessern vermögen und für ins Ausland verkaufte Waren sogar verschlechtern werden. Ferner kann man nicht auf eine Abwertung einer fremden Währung hoffen, wenn man – wie die Trump Administration auch – sich die amerikanischen Handelsbilanzdefizite nicht zuletzt mit einer Überbewertung des US-Dollars erklärt.
Eine Abwertung des Dollars dagegen unterstützt fraglos eine Zollpolitik, die auf eine Importsubstitution zielt und die amerikanische Exportindustrie preislich wettbewerbsfähiger macht. Vorschläge zu einer Abwertung des Dollars, wie etwa auch von Stephan Miran, werden von Bessent aber kategorisch zurückgewiesen.
Ein "starker Dollar" wird von der Trump Administration als wesentliche Voraussetzung dafür erachtet, dass der US-Dollar weiterhin Leitwährung bleibt. Trump geht so weit zu behaupten, dass andernfalls die USA auf den Status eines Dritte-Welt-Landes herabfallen würden und droht den Ländern, die eine größere Unabhängigkeit vom US-Dollar anstreben, ihre US-Exporte mit einem 100igen Zoll zu bestrafen.
Vor diesem Hintergrund ist die Beantwortung der Frage, wie die "bottom 50%" für den Kaufkraftverlust der Trumpschen Zollpolitik kompensiert werden sollen, umso dringlicher zu beantworten. Die Antwort liegt auf der Hand und wurde bereits von der Biden-Administration – die der Erhebung von Zöllen auch zugeneigt war – gegeben: Eine Kombination aus steuerlichen Entlastungen für bestimmte Einkommensbezieher und Subventionen für den Kauf amerikanischer Produkte.
Ein Vorschlag, der aufgrund der (irrigen) Vorstellung, der USA-Staat sei eh schon überschuldet, sofort die Frage nach der "Gegenfinanzierung" aufwirft. Auf Basis dieser Annahme bedarf es dann aber einer "Reichensteuer", wenn man die soziale Ungleichheit reduzieren will. Wenn man sich darüber hinaus – wie die Trump-Administration – im Klaren ist, dass die hohen Militärausgaben einer der Gründe für die Handelsbilanzdefizite sind, sollte man den Vorschlag der Biden-Administration begrüßen, sie in einem Zeitraum von zehn Jahren um 21 Prozent zu reduzieren.
Statt von Steuererhöhungen hört man von der Trump-Administration allerdings nur von Steuerreduktionen, "because obviously, growth is going to go up a lot when you cut taxes", wie Bessent zum Besten gibt. Und wer Militärausgaben reduzieren will, dem wird von Bessent vorgeworfen, den "defence umbrella" wegzunehmen, der es erst erlaubte, den Status des US-Dollars als Leitwährung erfolgreich zu verteidigen.
Der rationale ökonomische Kern der Zollpolitik Trumps kann dann aber nur sein, den Export von amerikanischen Gütern durch den Abbau von ausländischen Handelsbarrieren zu befördern. Es wird also mit absurd hohen Zöllen gedroht, um Handelspartner zu entsprechenden Zugeständnissen zu bewegen. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass aus dieser "Zollpolitik" "Deals" resultieren, die eine ins Gewicht fallende Reindustrialisierung über den Exportkanal zu bewirken vermögen.
Allerdings ist zuzugeben, dass, wenn das primäre Ziel der inkonsistenten Zollpolitik der Trump-Administration eine Reduktion von Handelsbilanzdefiziten ist, sie von Erfolg gekrönt sein könnte. Denn die Preise in den USA für Importgüter könnten steigen und so ihre Nachfrage reduzieren und damit ceteris paribus das Handelsbilanzdefizit der USA reduzieren.
Steigende Preise werden aber auch die Inlandsnachfrage und damit auch das Wirtschaftswachstum abschwächen. Da zudem zu befürchten ist, dass es des Sparappells der FAZ gar nicht bedurfte, dürfte das amerikanische Haushaltsdefizit diesem Trend nicht ausreichend entgegenwirken können. Was zusammengenommen, wie von vielen Analysten befürchtet, die Wahrscheinlichkeit einer Stagflation in den USA als möglich erscheinen lässt.