"Es gibt keine Depressionen"
Menschen sind keine Kartoffeln
- "Es gibt keine Depressionen"
- Menschen sind keine Kartoffeln
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Und was sind die überraschendsten Ergebnisse Ihrer Forschung?
Peter de Jonge: Wie unterschiedlich wir Menschen doch sind! Was für den einen funktioniert, das kann bei einem anderen sehr schlecht funktionieren. Denken Sie beispielsweise an Antidepressiva: Im Mittelwert finden wir einen kleinen positiven Effekt. Früher habe ich selbst solche Untersuchungen gemacht, auch heute noch. Aber so ein Effekt bedeutet, dass das Medikament bei manchen hilft, bei anderen nicht und bei wieder anderen sogar kontraproduktiv sein kann.
Solche Unterschiede, also die Diversität der Menschen, sind wichtig für die Praxis: Schließlich sitzt vor Ihnen als Psychologe oder Psychiater eine Einzelperson und kein Durchschnittsmensch. Die statistischen Methoden, die in der Forschung mehrheitlich verwendet werden, kommen ursprünglich aus dem Landbau. Sie wurden früher dazu verwendet, das Züchten von Kartoffeln zu verbessern. Bei solchen Fragen geht es nicht um individuelle Kartoffeln, sondern um den Durchschnitt.
Bei Menschen ist das aber anders. Wir müssten in Psychologie und Psychiatrie eigentlich gerade am Individuum interessiert sein, eben wegen der Diversität der Menschen. Die Frage nach dem Durchschnittsmenschen gehört eher ins Gebiet der Krankenversicherungen und Gesundheitspolitiker.
Unterschiede verschwinden im Durchschnittswert
Was bedeutet das konkret?
Peter de Jonge: Stellen Sie sich vor, ein Patient kommt zu Ihnen in die Praxis und sagt: "Doktor, ich habe eine Depression. Wie lange wird das dauern?" Ich habe keine Ahnung. Im Mittel drei Monate. Aber für Sie als Individuum: Vielleicht zwei Wochen? Vielleicht drei Jahre? "Und was muss ich tun?" Auch das weiß ich nicht. Vielleicht Pillen nehmen? Oder eine Gesprächstherapie machen?
Um hier sinnvolle Antworten zu geben, brauchen wir personalisierte Empfehlungen - und genau solche erhalten wir mit unseren Methoden. Vor Jahren schrieb ich selbst einmal in einer Fachzeitschrift: Eine Depression dauert im Mittel drei Monate. Jetzt begreife ich, dass diese Information in der Praxis von sehr geringem Wert ist.
Nur drei Störungen würden ausreichen
Heutzutage unterscheidet man hunderte psychischer Störungen. Sie behaupten, dass drei vielleicht ausreichen. Können Sie das näher erläutern?
Peter de Jonge: Denken wir an Depressionen. Darüber weiß ich am meisten. So gut wie alle Behandlungen für Depressionen helfen ebenfalls bei Angststörungen. Wir sehen auch auf genetischer Ebene sehr viele Überschneidungen. Wenn die Behandlung aber dieselbe ist, warum muss man dann verschiedene Diagnosen voneinander unterscheiden? Mir erscheint es als sinnvoller, nur ein paar große Problemgebiete zu unterscheiden und in diesen die Behandlung für eine bestimmte Person anzupassen.
Jeder hat seine persönliche Anfälligkeit. Manche reagieren auf Stress, indem sie sich zurückziehen. Das nennen wir "Internalisierung". Andere reagieren nach außen, etwa indem sie Ärger verursachen. Das ist "Externalisierung". Wieder andere reagieren psychotisch, das heißt, dass sie an merkwürdige Dinge glauben oder in der ganzen Welt eine Verschwörung sehen. Auch das kann so weit führen, dass das Funktionieren eines Menschen eingeschränkt wird.
Ich bin der Überzeugung, dass die Unterscheidung in diese drei Gruppen hinreichend ist: internalisierende, externalisierende und psychotische Störungen; hinreichend für ein globales Bild darüber, was jemandes Anfälligkeiten sind. Dabei kann jemand natürlich mehr als nur eine haben. Anschließend will ich nicht allein über Symptome sprechen, sondern auch über Ursachen. Woher kommen die Probleme? Aber auf persönlichem Niveau, für jedes Individuum einzeln.