Die Jugend stimmt für Populisten
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Demokratie-Labor Frankreich lässt Blasen platzen: Die Jüngeren wählten bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl lieber Mélenchon und Le Pen als Macron
Es ist eine Zeitenwende, die nicht schockartig kommt, aber doch ein böses Aufwachen in zwei Wochen fürchten lässt.
Dass sich die politische Landschaft in Frankreich grundlegend verändert hat, war schon Thema nach der Präsidentschaftswahl 2017, die Macron gewann. Die Einsicht hat sich nun vertieft. Das Ergebnis des Wahltags gestern präsentiert das so eindrücklich wie ein Schlag ins Gesicht: Die Parteien, die 50 Jahre lang die Politik in Frankreich dominierten, kämpfen jetzt ums pure Überleben.
Die Krise der christdemokratischen Konservativen
Die Spitzenkandidatin der konservativen Partei Les Républicains, Valérie Pécresse, muss nun Spenden sammeln, um Geld für sieben Millionen Euro Schulden zu begleichen, die sie der Wahlkampf gekostet hat. Davon fünf Millionen aus eigener Kasse, wie sie mitteilt. Vom Staat gibt es nichts. Sie erzielte unter fünf Prozent der Stimmen.
Die Partei Les Républicains ist die Nachfolgepartei der UMP und zuvor der RPR, die die Präsidenten Chirac und danach Sarakozy gestellt haben. Aus deutscher Sicht teilt sie vieles mit dem Konservatismus der Unionsparteien. Die Krise dieses Konservativismus macht nicht am Rhein halt. Das Ergebnis aus Frankreich zeigt trotz der Unterschiedlichkeiten zu deutschen Verhältnissen auch an, in welcher Krise der traditionelle rechtsliberale Konservatismus derzeit steckt.
Die Kandidatin der Sozialdemokraten bei 1,8 Prozent
Auch die Sozialdemokraten sind seit dem Ende der Präsidentschaft Francois Hollandes in einer andauernden Agonie. Das Ergebnis ihrer Spitzenkandidatin Anne Hidalgo fiel niederschmetternd aus: 1,8 Prozent. Und dies zu Zeiten, wo manche angesichts des SPD-Erfolgs bei der Bundestagswahl schon darauf hofften, dass sich die Sozialdemokratie in Europa wieder erholen könnte.
Es war die erste Runde der Präsidentschaftswahlen, also kein Wettkampf der Parteien, aber es traten Spitzenkandidaten an, die nicht nur mit ihrer politischen Persönlichkeit werben, sondern auch für politische Strömungen stehen.
Wenn man sich die Ergebnisse der ersten Runde daraufhin anschaut, so ist der Ausgang besorgniserregend. Macron stand einmal für ein junges Europa. Diese Idee überzeugt nicht mehr viele, vor allem nicht unter den Jüngeren.
Diese wählten überwiegend die anderen beiden Kandidaten, Le Pen und Mélanchon. Denen ist gemeinsam ist, dass sie deutlich sich von der EU-Idee distanzieren. Dieses Balkendiagramm hier zeigt sehr deutlich, wofür die Wähler im Alter unter 50 Jahren votierten. Anders gesagt: Ohne die Wähler im Alter über 65 Jahren hätte Macron den Einzug in die Stichwahl nicht geschafft, so ist das Diagramm überschrieben.
Aufgeschlüsselt sieht das so aus: Unter den 18- bis 24-Jährigen votierten 34 Prozent für Mélenchon, 25 Prozent für Macron und 17 Prozent für Le Pen. Unter den 24- bis 34-Jährigen stimmten 31 Prozent für Mélenchon, 27 Prozent für Le Pen und 21 Prozent für Macron. Unter den 35- bis 49-Jährigen stimmten 29 Prozent für Le Pen, 22 Prozent für Macron und 20 Prozent für Mélenchon.
Die Soft-Power, die die krassen Positionen ausgelagert hat
Die Angst vor der antirepublikanischen Le Pen, bei der letzten Wahl noch geeignetes Mittel, um gegen sie zu mobilisieren, hat nicht mehr die Power wie früher. Marine Le Pen führte einen prononcierten Persönlichkeitswahlkampf, bei dem die Partei in den Hintergrund trat. Das war wichtig, um Spuren zum Front National (FN) zu verwischen, dessen Vorsitz sie von ihrem Vater übernommen hatte.
Ihr Vater wie auch die Partei FN hatten ihre politischen Wurzeln in einem Fundamentalismus, der auf der äußersten Rechten im politischen Spektrum angesiedelt war. Beides stand Le Pens politischen Erfolg lange Zeit im Weg. Die Umbenennung der Partei in Rassemblement National war ein wichtiger Schritt raus aus diesem Rahmen.
Ihr seit Jahren laufendes Image-Projekt der "Entteufelung" führte sie im Wahlkampf fort. Sie präsentierte sich als softe Katzenstreichlerin und als Anwältin der Leute aus dem "Volk". Sie trat für eine bessere Kaufkraft der finanziell und sozial schlechter Gestellten ein. Es ist schon lange her, dass diese Bevölkerungsschichten sozialdemokratisch oder gar kommunistisch gewählt haben. Passé.
Ihre frühere Rolle als Scharfmacherin hat jetzt Eric Zemmour übernommen. Auch unter neuen deutschen Rechten gibt es die Ansicht, dass sich beide, Le Pen und Eric Zemmour, gut ergänzen, was das Erschließen von Wählerpotential für Rechte angeht. Die Wähler von Zemmour werden im zweiten Wahlgang Le Pen wählen.
Le Pen kann darüber hinaus mit Stimmen anderer politischen Gefährten von rechts rechnen, ihr früherer Mitstreiter Nicolas Dupont-Aignan erhielt mit 2,1 Prozent mehr Stimmen als Hidalgo.
Um es in der Sprache der Sportkommentatoren zu sagen: "Da ist noch Luft nach oben", wenn es um das aktuelle Wählerreservoir der entdiabolisierten Frau des früheren rechtsextremen Front National geht.
Macron hat dagegen ein Problem mit dem Wählerreservoir für die Stichwahl.
"Wird Macron das Volk finden?"
Für Macrons Wahlkampfteam stellt sich die Frage nach einem Wählerreservoir, das er noch in petto hat, mit einer gewissen Bangigkeit. 2017 konnte er auf den Topf von etwa 20 Prozent lossteuern, die für den Kandidaten der Les Républicains votierten. "Wird Emmanuel Macron das Volk ("le peuble") finden?", fragt Charlie Hebdo heute.
Der Stimmenpool, der von seinem Team nun beäugt wird - nachdem er sich zuvor bei der bürgerlichen Rechten bis hin zu deren Existenzminimum bedient hat -, sind die Wählerinnen und Wähler Mélenchons. Man charakterisiert sie oft als dem "populistischen Pol" zugehörig.
Von diesem Pol kam allerdings schärfste Kritik am Präsidenten. Macron hat sich, was soziale Gerechtigkeit anbelangt, und anderseits durch sein autoritäres und selbstgefälliges Gehaben gegenüber sozialen Bewegungen wahrhaftig keine Lorbeeren bei Linkswählern geholt, sondern ganz im Gegenteil: starke Abneigung.
Mélenchon rief seine Wählerschaft, die diesmal noch größer war als bei den letzten Präsidentschaftswahlen, nicht dazu auf, Macron zu wählen, sondern Le Pen "nicht die Stimme zu geben". Was Mélenchons Wählerinnen und Wähler aus dieser Empfehlung am 24. April machen werden, wird den Wahlkampf der nächsten zwei Wochen prägen.
Für Macron und sein Team wird es schwierig werden, ein "bindendes Element" zu finden, das glaubwürdig ist und stark genug, um Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, die in Le Pen nicht mehr die rechtsextreme, antidemokratische Gefahr für die Republik sehen, sondern die größere Gefahr in der "Elitenherrschaft", mit der Macron etikettiert wird. Le Pen, die aus einem reichen Clan stammt, konnte sich erfolgreich zur Vertreterin der Interessen der Bevölkerung stilisieren.
Der Jupiter-Präsident, der mehrmals durch seinen Hang zur autoritären Machtausübung aufgefallen ist, wird sich damit schwertun, verlorenes Gelände - durch seinen arroganten Umgang mit den Protesten der Gelbwesten, bei denen die Polizei mit einer überdimensionierten Gewalttätigkeit auffiel, seinen Kürzungen im Sozialbereich und der Begünstigungen der finanziell Bessergestellten und Reichen - wiedergutzumachen.
"Bindende Momente" - in einer polarisierten Gesellschaft
Dazu kommt, dass das gegenwärtige politische Klima stärker denn je auf Konfrontation ausgerichtet ist, auch die Corona-Diskussionen in Frankreich polarisierten - "bindende Momente", worauf Macron zur Erschließung neuer Wähler setzen muss, sind da nicht so leicht aufzutun.
Einer Studie aus Allensbach zufolge, die heute in deutschen Medien vielfach aufgenommen wird, sind 31 Prozent der Teilnehmer der Ansicht, dass sie in einer "Scheindemokratie" leben, "in der die Bürger nichts zu sagen haben". Das ist freilich nicht eins zu eins auf Frankreich zu übertragen, zumal sich im Osten Deutschlands noch markantere Werte zeigten (45 Prozent, die diese Einschätzung äußerten). Doch spricht vieles dafür, dass ein ganz ähnlicher Überdruss auch im westlichen Nachbarland politisches Gewicht hat.
Gegen diesen Überdruss hat Macron in den letzten fünf Jahren wenig Punkte gesammelt. Man kann in der Stimmabgabe der jüngeren Wähler bei der ersten Runde das Signal von platzenden Blasen hören. Macron hat es in seiner Amtszeit nicht geschafft, den Populisten substanziell etwas abzugraben. Sie blieben auf ihrem Posten der grundlegenden Systemkritik und haben anscheinend mehr Erfolg denn je.
Eine ganze Menge von Französinnen und Franzosen fühlen sich von einem bestimmten Politik-Modus nicht mehr repräsentiert oder angesprochen und wenden sich ab. Das trifft nicht nur Macron, sondern auch die Modelle der Parteien der bürgerlichen Mitte.