Die Evolution begünstigt nicht das egoistische Verhalten

Anhand des Durchspielens von Simulationen haben US-Evolutionsbiologen gezeigt, dass eine kürzlich entdeckte spieltheoretische Strategie langfristig nicht stabil ist

Ein seit langem umstrittenes Prinzip der Evolutionstheorie ist der angeblich vorherrschende Egoismus der Individuen oder Gene beim darwinistischen "Kampf ums Dasein" aus Reproduktion, Variation und Selektion. Ganz offensichtlich gibt es aber neben der Konkurrenz auch viele Formen der Kooperation und auch der Hilfe zwischen Individuen, klassische Evolutionstheoretiker bemühen sich aber in der Regel, diese "Selbstlosigkeit" als indirekten Egoismus auszulegen, da Kooperation unter Umständen den Erfolg der Reproduktion der Gene besser sichert und kooperierende Egoisten erfolgreicher sind.

Die Evolutionsbiologen Arend Hintze und Christoph Adami bestreiten, dass die Evolution des Egoismus begünstigen würde und versuchen dies mit neuen Annahmen der evolutionären Spieltheorie zu belegen. Press and Dyson haben letztes Jahr ein mathematisches Modell des Gefangenendilemmas vorgeschlagen, bei dem zwei Individuen gegeneinander spielen oder kooperieren können, und behauptet, es sei eine Strategie für einen Spieler möglich zu gewinnen, unabhängig davon, welcher Strategie der Gegner folgt. Die "Zero Determinant"-Strategie (ZD) wäre mithin ein Beweis dafür, dass egoistisches Verhalten erfolgreich ist, eine Folge wäre, dass sich Egoismus gegenüber Kooperation oder Altruismus durchsetzen würde. Die ZD-Strategie basiert im wesentlich darauf, mit Wahrscheinlichkeiten bei oft wiederholten Spielen vorzugehen. Damit kann überraschenderweise langfristig das Ergebnis des Gegners festgelegt oder dieser gezwungen werden, ein für ihn ungünstiges Ergebnis zu akzeptieren. Eine meist erfolgreiche Strategie ist ansonsten Tit-for-Tat, bei dem B sich so entscheidet wie A und nicht-kooperatives Verhalten auch mal verziehen wird. Wenn bei der ZD-Strategie das Ergebnis (Auszahlung) bei dem Standardwert 2 liegen soll, dann sollte A, der die ZD-Strategie verfolgt, mit einer Wahrscheinlichkeit von Zweidrittel kooperieren, wenn der Spielpartner B das letzte Mal kooperiert, also geschwiegen und kein Geständnis abgelegt hat, das einen Verrat darstellt. Wenn A kooperiert, B aber ein Geständnis (Defection) abgelegt hat, wird auch B ein Geständnis ablegen. Wenn beide ein Geständnis abgelegt haben, dann wird A mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 kooperieren. Das Gefangenendilemma geht davon aus, dass zwei Gefangene gemeinsam eine Straftat begangen haben und getrennt verhört werden. Schweigen beide (Kooperation) erhalten sie nur eine geringe Strafe, gestehen sie beide (Verrat) erhalten beide hohe Strafen, aber wegen des Geständnisses nicht die Höchststrafe. Gesteht der eine und schweigt der andere, erhält der erstere eine geringe, der Schweigende aber die Höchststrafe.

Nach den beiden Evolutionsbiologen, deren Studie in Nature Communications erschienen ist, können ZD-Strategien zwar evolutionär stabil und damit erfolgreich sein, wenn eine Informationsüberlegenheit über den Mitspieler vorliegt, er also weiß, gegen wen er spielt, oder wenn er über ein langfristiges Gedächtnis verfügt, um die Strategie des Opponenten zu testen. Aber dieser Vorteil wirkt nur kurzfristig, wenn evolutionär Gegenstrategien entstehen können, um den Vorteil auszuhebeln, oder wenn Mutationen ins Spiel kommen. Kurzfristig und vor allem gegen Gegner, die immer kooperativ spielen, können sich egoistische Organismen durchsetzen, aber der Egoismus sei evolutionär instabil, langfristig bestrafe die Evolution sogar denjenigen, der egoistisch vorgeht, erklärt Christoph Adami plakativ. Zudem versagt die ZD-Strategie bei Opponenten, die sie ebenfalls befolgen.

Die Wissenschaftler haben in agentenbasierten Simulationen jeweils zehntausende Züge durchspielen lassen. Selbst wenn ZD-Strategen immer gewinnen würden und letztlich nur sie übrigbleiben, müssten sie ihre Strategie verändern, um in einer Welt von ZD-Strategen zu überleben. Sie müssten kooperativer werden und wären dann keine ZD-Strategen mehr, so Hintze. Jedes Erkennungssystem, das auf Genen basiert, unterliege dem evolutionären Wettrüsten, wie dies zwischen Wirten und Parasiten der Fall ist. Dieses Wettrüsten bzw. der Red-Queen-Effect ist, so vermuten die Wissenschaftler, "in der gesamten Biosphäre allgegenwärtig". Wie schon die Tit-for-Tat-Strategie zeigt, so könnte man daraus den Schluss ziehen, gibt es im Spiel des Lebens langfristig wohl immer Mischstrategien und sind einseitige Erfolge nur kurzfristig. (Florian Rötzer)