Die Achse der Guten
Dem sozialen Wesen Mensch steht ein wirksames Werkzeug zur Verfügung, altruistisches Verhalten durchzusetzen: sein soziales Netzwerk
Seit ein paar Millionen Jahren klettern unsere Vorfahren nicht mehr nächtens als Einzelgänger in den Baumkronen herum, sondern rotten sich zu Gruppen mit ausgeprägten sozialen Beziehungen zusammen. Es ist deshalb nicht überraschend, dass diese inzwischen zu den Voraussetzungen unserer Existenz gehören. Einzelhaft ist eine Strafe, und das einsame Überleben auf einer Insel gefährdet die geistige Gesundheit – das gilt selbst für ausgeprägte Eigenbrötler, denen soziale Kontakte Kraft kosten.
Als Erklärung für die Entstehung von Altruismus hat man die sozialen Netzwerke trotz ihrer Bedeutung für den Einzelnen bisher allerdings nicht betrachtet. Forscher der Harvard University berichten nun in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) von Beobachtungen, die darauf ein neues Licht scheinen lassen. Die Wissenschaftler ließen Probanden so genannte Public-Goods-Spiele absolvieren. Dabei handelt es sich um kooperative Spiele, bei denen es um die Verteilung öffentlicher Ressourcen geht.
Die Versuchsteilnehmer waren in einem sozialen Netzwerk mit anderen verknüpft. Aus einem ihnen zugeteilten Reservoir konnten sie nun ihren Kontakten Punkte zuteilen – oder alles selbst behalten, also egoistisch handeln. Zudem hatten sie aber die Freiheit, ihr soziales Netzwerk zu verändern. Dabei zeigte sich, dass sich egoistische Probanden im Laufe des Spiels immer stärker isoliert vorfanden, während das Netzwerk altruistischer Spieler wuchs.
Daraus entstand sogar ein Lerneffekt: Gelang es den Egoisten später, wieder Anschluss ans Netzwerk zu finden, spielten sie nun mit doppelter Wahrscheinlichkeit als im Mittel auf altruistische Weise. Voraussetzung, dass sich die Guten durchsetzen können, ist aber, dass das soziale Netzwerk veränderbar ist. Das ist womöglich eine Errungenschaft der Moderne.
Ein Beobachter verändert das Spiel
Auch Forscher des Max-Planck-Instituts für Evolutionärbiologie berichten in einer in PNAS veröffentlichten Studie, dass Menschen ihre Interaktionspartner danach aussuchen, wer sich anderen gegenüber besonders kooperativ verhält. Die Erklärung dafür könnte im Eigen-Interesse des Individuums liegen: Wenn ich mit jemandem zusammenarbeite, der für altruistisches Verhalten bekannt ist, kann ich eventuell auch mit einer derartigen Behandlung rechnen.
Ganz so einfach ist es in der Realität aber nicht, wie die Forscher aus Köln und Plön anhand dreier Public-Goods-Spiele herausfanden. Das Grundprinzip ist einfach: In jeder Runde kann ein Spieler einen ihm ausgezahlten Geldbetrag ganz oder teilweise in die Gruppenkasse legen (oder ihn komplett behalten). Am Ende wird der Kasseninhalt verdoppelt und an alle Teilnehmer gleichmäßig ausbezahlt. In der simpelsten Variante, die ohne Strafe auskommt, gewinnt egoistisches Verhalten schnell die Oberhand. In komplizierteren Versionen können sich die Spieler auch gegenseitig bestrafen. Hier wird es interessant: Jemanden für egoistisches Verhalten zu bestrafen, erhöht im Experiment die eigene Reputation nicht, obwohl es mit Kosten verbunden ist.
Die Forscher addierten eine weitere Dimension, die einen Aspekt unseres Verhaltens innerhalb sozialer Netzwerke beleuchtet: Die Instanz des Beobachters. Diese ändert das Spiel: Wenn die Teilnehmer sich beobachtet fühlen, versuchen sie zu verschleiern, wenn sie andere bestrafen. In der von den Forschern gewählten Variante führte das zu einem regelrechten Kalten Krieg.
Denn die Beobachter rechneten mit einem solchen Verhalten der Spieler und versuchten sich ebenfalls in Verschleierungstaktiken (in dem Spiel konnten Spieler UND Beobachter die Möglichkeit, heimlich zu handeln, auf Kosten des eigenen Guthabens kaufen). Jemanden zu strafen, das zeigen die Experimente der Evolutionsbiologen, gilt offenbar nicht als wünschenswert – obwohl es dazu führt, dass sich bei dem Spiel altruistisches Verhalten erst durchsetzen kann. (Matthias Gräbner)