Das chinesische Sozialkredit-System
Fussnoten
Das SKS "soll zum Beispiel verhindern, dass Firmen bewusst Geldstrafen in Kauf nehmen, weil es für sie günstiger ist, diese zu zahlen, als gesetzeskonform zu handeln. Hier argumentiert die chinesische Regierung, dass man ohne das System Verstöße gegen Umweltauflagen, Arbeits- und Markenrecht oder aber Lebensmittelskandale nicht in den Griff bekommen könne." (M. Ohlberg, Digitaler Big Brother, Internationale Politik 2/2019, S. 62)
Auch Hu Jintaos Kampagne "Acht Tugenden und acht Vergehen" von 2006 war nicht die letzte. Dazu Mark Magnier (Eine Krise des Vertrauens belastet die chinesische Gesellschaft, Los Angeles Times, 24.9.06): "Die Regierung hat versucht, das Problem mit einer neuerlichen Moralkampagne anzugehen. Eine Liste von dos and don’ts, zum Beispiel: 'Sei ehrlich und vertrauensvoll.' Und: 'Vermeide unmoralisches Handeln für den eigenen Gewinn.'" Heute begleitet Xi Jinping die Einführung des SKS mit mora-lischen Belehrungen: "Entwurf zur Umsetzung des moralischen Aufbaus der Bürger in der neuen Ära".
Nicht ganz zu Unrecht verteidigt ein Artikel in China Daily (1.11.16) das SKS gegen die westlichen Warnungen vor dem Orwell-schen "Big Brother, der die Bürger bis in ihre Privatsphäre hinein ausspäht und kontrolliert". Die Zeitung fragt, ob die geschäft-lichen und moralischen Informationen, die das Sozialkredit-System über chinesische Bürger zusammenträgt, im Westen über dortige Bürger eigentlich nicht verfügbar seien. Sie erinnert an die gigantischen Datensammlungen von Facebook, Google etc., an die zahlreichen Bewertungsportale im Netz, die Ärzten, Lehrern, Turnschuhen und sonst allem und jedem einen guten oder schlechten Ruf verpassen, an die Presse, die die Schandtaten von Groß und Klein ans Licht der Öffentlichkeit zerrt, und nicht zuletzt an die Auskünfte der Schufa über die Kreditwürdigkeit von Schuldnern. China, heißt es da, brauche dringend ein Kredit-Auskunftssystem, um die Ökonomie zu schützen. Das Land, d.h. seine Banken und Kreditfonds verlieren jährlich über 600 Mrd. Yuan (88 Mrd. US-Dollar), weil es derartige Informationen bisher nicht gebe.
"Chinesische Regierungsbehörden machen die Listen über ihre Datenbanken sowie über große Nachrichten-Webseiten öffentlich zugänglich. Das öffentliche Bloßstellen von Bonitätssündern ist ein wichtiger Aspekt des Systems." (Merics China Monitor 4/18, S. 11)
"Auf schwarzen Listen können zum Beispiel Individuen landen, die sich Gerichtsurteilen widersetzen, oder Unternehmen, die gegen wirtschaftliche Auflagen oder Regularien verstoßen haben. Vor allem im Unternehmensbereich werden zur Zeit immer mehr Regeln formuliert für Straftaten und Fehlverhalten, wegen derer betroffene Firmen auf schwarzen Listen landen können." (Ohlberg / Ahmed / Lang, Zentrale Planung, lokale Experimente. Merics China Monitor 4/18, S. 10) Die Regierung verbreitet als Erfolgsmeldung: "Bis Ende vergangenen Jahres wurden sogenannte ‚diskreditierte‘ Bürger in rund 17 Millionen Fällen daran gehindert zu fliegen bzw. in rund 5 Millionen Fällen, einen Hochgeschwindigkeitszug zu nehmen. Der Jahresbericht 2018 der Nationalen Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) zeigt zudem, dass mehr als 3,59 Millionen chinesische Unternehmen auf offizielle schwarze Listen gesetzt wurden." (Merics China Update 4/2019)
Ein Beispiel aus dem Ideenschatz der Pilotprojekte: "In den Pilotversuchen stellen die Gerichte den Telekommunikationsunter-nehmen Listen mit den Namen von Bürgern zur Verfügung, die gerichtlich angeordnete Zahlungsforderungen ignoriert haben (dabei geht es mitunter um relativ kleine Summen von einigen Tausend Yuan). Ruft jemand die Betroffenen an, hört der Anrufer statt eines Freizeichens eine Ansage, die über die Verfehlung informiert - zusammen mit einer Aufforderung, den Schuldner zum Einhalten seiner gesetzlichen Verpflichtungen aufzurufen." (Merics China-Monitor 4/18, S. 12)
Konstruktiv vorwärts gedacht von einem findigen Anwalt der westlichen Abmahnindustrie: "Eine ganze eigene Dienstleistungs-industrie dürfte künftig im Bereich der Verbesserung und möglicherweise des aktiven ‚Managements‘ der Beeinflussung von Bo-nitätswerten entstehen." (Merics China Monitor 4/18, S. 13)