Anstieg der Gewalt gegen Journalisten: Hass auf der Straße
Journalisten auf einer Demonstration in Berlin. Bild: Shutterstock.com
Feindbild Medien: Schläge und Tritte gegen Journalisten, Gewalt nimmt zu. Besonders in Berlin. Aber auch Lokaljournalisten sind von permanenter Bedrohungslage betroffen.
Abschottung unter der Fahne der Gleichgesinnten ist das neue Mantra? Abschottung zusammen mit Drohungen, Rempeleien, Fäusten, die lockersitzen, und Füssen, die schnell lostreten, weil die Körper voller aufgebrachter Gefühle stecken? Ist das die Echtheitsprobe des Zustands der deliberativen Demokratie auf der Straße?
Das hässlich fokussierte Bild mag überzogen sein und ist beschränkt auf gewisse Brennpunkte der politischen Auseinandersetzungen, auffallend bei Demonstrationen. Es ist aber kein Fantasiegebilde.
Mehr Gewalt, mehr Tritte und Schläge
Die jüngsten Zahlen der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigen jedenfalls eine beunruhigende Entwicklung in Deutschland: Die Anzahl gewaltsamer Angriffe auf Journalisten hat sich demnach im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, wie die aktuelle Nahaufnahme zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland berichtet.
89 tätliche Übergriffe wurden von Reporter ohne Grenzen verifiziert und dokumentiert. Bei 75 der dokumentierten Vorfälle gehe es sich um Angriffe gegen Menschen. 14 Angriffe richteten sich gegen Redaktionsgebäude oder Wohnhäuser. "Am häufigsten waren körperliche Attacken in Form von Tritten und Schlägen, auch mit Gegenständen wie Fahnenstangen oder Trommelschlägeln", so die taz zum RFI-Bericht.
Eine Auffälligkeit in der Statistik: Gewalt gegenüber Journalistinnen und Journalisten war im Jahr 2024 vor allem im Brennpunkt Berlin ein Thema, wo sich 49 der bundesweit dokumentierten Fälle ereigneten. Die meisten Übergriffe zählte RSF am Rande von Nahost-Demonstrationen. 29 dieser Attacken richteten sich gegen zwei Reporter(!), die immer wieder angegriffen wurden.
Im Rest Deutschlands geraten Medienschaffende weiterhin zumeist bei der Berichterstattung von rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Versammlungen in Gefahr. Dort wurden 2024 21 Übergriffe gezählt. RSF geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
RSF, Übergriffe auf Journalisten verdoppelt
"Wachsende Pressefeindlichkeit"
Auch wenn hier auffällt, das sich die meisten Attacken in Berlin ereignet haben – Bayern und Sachsen belegen mit jeweils acht registrierten Angriffen den zweiten Platz – als bloße Anhäufung von "örtlichen" Einzelfällen lässt sich das Problem der Aggressionen nach Ansicht der Organisation nicht abtun: "Generell erleben Reporterinnen und Reporter im Kontakt mit der Bevölkerung eine wachsende Pressefeindlichkeit", erklärt man in der Pressemitteilung.
Von einer "Medienfeindlichkeit" spricht Jan Hollitzer, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, der im Interview mit dem Deutschlandfunk von Erfahrungen berichtet, die Lokaljournalisten seit geraumer Zeit schon machen. Die münden in der Aussage, wonach "Hass, Hetze, Pöbeleien und die Zahl der Gewalttaten zugenommen" haben.
"Einer permanenten Bedrohungslage ausgesetzt"
"Wir sehen uns einer permanenten Bedrohungslage ausgesetzt, seitdem versucht wurde, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu erschüttern. Dazu zählt die Presse auch", sagt Hollitzer. Besonders im Lokaljournalismus habe man mit dem mittlerweile bekannten Phänomen zu tun.
Man biete Kolleginnen und Kollegen Präventionsschulungen für Konfliktsituationen an. Wie soll man sich am besten verhalten? Man solle nicht kämpfen, meint der Chefredakteur. Deeskalation sei angesagt. Zum Schutz werde gegebenenfalls Security mitgeschickt.
Hohe Dunkelziffer
Er geht von einer hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Aggressionen aus. Nicht immer sei klar, was gemeldet werden muss. Reicht eine Drohung, die einschüchtert? Vor allem, wenn man weiß, wie ernst es werden kann.
Auf Seite 5 im RSF-Bericht wird erklärt, dass Attacken als Angriff gewertet wurden "sofern sie Körper oder Ausrüstung von Journalist*innen tatsächlich getroffen haben. Täter*innen haben Medienschaffende auch brutal zusammengeschlagen, sie wurden zu Boden gestoßen, in die Genitalien getreten, mit Eiern oder Kaffeebechern beworfen oder mit Pfefferspray attackiert".
Seit 2015 aufgeheizte Stimmung: "Du bist mein Feind"
Seit 2015 gebe es eine aufgeheizte Stimmung in Thüringen. Manche Kollegen würden nur zu weit auf bestimmte Veranstaltungen gehen, allein nicht mehr, "weil sie sich unwohl fühlen". Auf die Frage, was sich verbessern müsste, kommt Hollitzer auf das politische Großklima zu sprechen. Es gehe da um eine große gesamtgesellschaftliche Frage – die Diskussionskultur müsste sich ändern.
Andere Meinungen müssten toleriert werden. Mit der Ansage "Du bist mein Feind" komme keine Diskussion mehr zustande.
Vertrauensverlust
Auch er beklagt einen Vertrauensverlust in die traditionellen Medien. "Wir werden gar nicht mehr gelesen", wobei Jan Hollitzer das "wir" zwar nicht weiter präzisiert, aber gut verstehen lässt, welche Medien gemeint sind, indem er sagt, dass "Chats" und "Gruppen" vertraut werde.
Zerstochene Reifen und tätliche Übergriffe seien traurige Realität, heißt es in Berichten heute zur Beobachtung einer auffallenden Aggressivität gegenüber Journalisten. Dieses Klima verschärft eine ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation für die Lokalzeitungen.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die dju innerhalb von Verdi äußern sich besorgt über die neue Qualität der Gewalt gegen Medienschaffende. Sie fordern wirksame Schutzmaßnahmen und die Aufnahme dieser in den neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene. Journalisten müssen ohne Angst vor Gewalt arbeiten können. Nur so könne die Presse ihrer demokratischen Informationspflicht nachkommen.